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Die Stadt der Wahrheit

Die Stadt der Wahrheit

Titel: Die Stadt der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Hund, »aber es handelt sich dennoch um den Heiligen Stuhl.«
    Ich zuckte mit keiner Wimper. Allmählich gewöhnte mich an derlei Dinge.
    Die Tür mit offenbar gut geölten Scharnieren flog schwungvoll auf, und ein kleiner, nervös wirkender, schielender Mann in den Sechzigern, bekleidet mit einem strahlend weißen Polyesteranzug und einer Jamulka, [i] schlenderte gemächlich auf den Steg. Er wies Martina und Franz an, mich in einer Stunde abzuholen.
    »Hast du Lust auf eine Tasse frisch aufgebrühten Kaffee?« fragte Manny Ginsburg, während er mich in seine Einraum-Residenz am Ufer führte. Der Schäferhund folgte uns, wobei seine Krallen laut über den Holzboden tapsten. »Schmeckt ziemlich gut.«
    »Gern«, sagte ich und blickte mich um. Mannys Hütte war von innen so makellos wie von außen.
    »Nimm dir einen Stuhl.«
    Es gab keine Stühle. Ich setzte mich auf den Teppich.
    »Übrigens, ich bin Ernst«, stellte sich der Hund vor und reichte mir die Pfote.
    »Jack Sperry«, sagte ich und schüttelte Ernsts dargebotene Pfote. »Du kannst sprechen«, bemerkte ich.
    »Dank eines bioelektrischen Implantats, das meinen Kehlkopf verändert.«
    Manny huschte in die winzige Küche. Er hob einen Kupferkessel von dem Kerosinofen, füllte zwei Steingutbecher mit heißem Wasser und fügte jeweils einen Löffelvoll Pulver von Donaldsons Trinkbarem Kaffee hinzu.
    »Du sagtest doch ›frisch aufgebrüht‹«, bemerkte ich mit veritasianischer Offenheit.
    »Für uns ist er frisch«, sagte der Papst.
    »Möchtest du mal hören, wie ein sprechender Hund einen Witz erzählt?« erkundigte sich Ernst.
    »Nein«, antwortete ich wahrheitsgemäß.
    »Oh«, sagte der Hund, offensichtlich tief getroffen von meiner schonungslosen Aufrichtigkeit.
    Manny kam aus der Küche, mit einem Coca Cola-Tablett in der Hand, auf dem die Kaffeebecher, ein Milchkännchen und eine Dose mit der Aufschrift Salz standen.
    »Das da droben ist eine sterile Welt. Unfruchtbar, lähmend, geistig verödend.« Manny stellte das Tablett neben mir ab und verdrehte die Augen gen Himmel. »Und bald wird all das unser sein. Zweifelst du daran? Hör zu – wir haben bereits jetzt schon zwanzig Schwindler in die Legislative eingeschleust. Ein Mensch mit unserer Begabung hat keine Schwierigkeiten, gewählt zu werden.«
    »Du meinst – ihr wollt Veritas erobern?« fragte ich und achtete darauf, daß ich Manny nicht in die Augen sah.
    Der Papst legte sich die Hände auf die Ohren. »Bitte!«
    »Gebrauche nicht das Wort ›erobern‹«, tadelte mich der Hund.
    »Wir werden Veritas reformieren«, sagte Manny.
    Ich hielt den Blick starr auf den Teppich gesenkt. »Wahrheit ist Schönheit, Euer Heiligkeit.« Ich spreizte die Finger und ließ die bekannte Litanei vom Stapel. »Im Zeitalter der Lügen, als Politiker irreführende Reden schwangen, Werbeleute zu dick auftrugen, Kirchenleute übertrieben…«
    »Die Gründer von Satirev hatten nichts gegen das Aussprechen der Wahrheit.«
    Manny tippte auf seine Jamulka.
    »Aber sie haßten die Unfähigkeit, das Gegenteil zu tun. Die Wahrheit ohne Alternative, so sagten sie, ist Sklaverei, die lächelnd ertragen wird.« Er deutete mit seinem Kaffeebecher zur Decke. »Wahrheit über alles…« Er setzte den Becher am Boden ab. »Würde tief unten.« Er kicherte leise. »In Satirev haben wir uns für das letztere entschieden. Magst du ihn süß?«
    »Hm?«
    »Deinen Kaffee? Süß?«
    »In der Tat, ich hätte ganz gern etwas Zucker.«
    Der Papst reicht mir den Salzbehälter. Ich streute mir einige Körner in die Handfläche und probierte. Es war Zucker.
    »Mein Herz ist gebrochen«, sagte Manny und legte sich eine Hand auf die Brust. »Ich bin zutiefst erschüttert über die Sache mit deinem Toby.«
    »Wirklich?«
    »Ich bin zerschmettert.«
    »Du kennst ihn doch nicht einmal.«
    »Was du tust, ist so edel!«
    »Ich bin derselben Ansicht«, warf Ernst ein. »Und ich bin nur ein Hund.«
    Manny streute satirevianisches Salz in seinen Kaffee. »Ich habe nur eine Frage. Hör gut zu. Liebst du deinen Sohn?«
    »Das hängt davon ab, wie man…«
    »Ich meine nicht, ob du ihn liebst, sondern ob du ihn Hebst. Eine wahnsinnige, bedingungslose, nicht-veritasianische Liebe.«
    Erstaunlicherweise – für mich, wenn auch nicht für den Papst – brauchte ich über diese Frage nicht nachzudenken. »Ich liebe ihn«, versicherte ich Manny und sah ihm dabei direkt in die Augen. »Es ist eine wahnsinnige, bedingungslose,

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