Die Stadt der Wahrheit
das in einer grellrosa Farbe gestrichen war und an dem in blinkendem Neon die Worte leuchteten: HOTEL PARADIES. Eine Steinmauer umsäumte das Gelände, unterbrochen von einem wuchtigen Tor, in das ein Fallgitter aus Eisen, ebenfalls rosafarben angestrichen, eingearbeitet war. Streben aus rosafarbenem Eisen verliefen kreuz und quer vor den Hotelfenstern, wie die Striche eines Zensorenstifts.
Ein plötzliches Quietschen: Die Fallgitter hoben sich mit der knirschenden Schwerfälligkeit einer automatischen Garagentür. Franz führte mich unter dem Torbogen hindurch, einen rosafarbenen Zementweg entlang und dann durch das Hauptportal zur Empfangstheke. Er nannte dem Mann am Empfang – Leopold, laut seinem Ansteckschildchen – meinen Namen; jener war ein pferdegesichtiger, übergewichtiger Mensch in den Vierzigern, bekleidet mit einem Hawaii-Hemd in so schreienden Farben, daß es hätte verboten werden müssen. Nach der Bestätigung, daß man tatsächlich einen Jack Sperry aus dem Bezirk Platon erwartete, gab Leopold mir einen rosafarbenen Kittel, auf dessen Brustteil NOVIZIAT aufgestempelt war. Er war ebenso geräumig geschnitten wie das Nachthemd des Zentrums für Schöpferisches Wohlbefinden, und ich hatte keine Mühe, ihn über meine Straßenkleidung zu streifen.
»Sie sehen wirklich todschick in dem Ding aus«, sagte Leopold.
»Sie sind einer der freundlichsten Menschen, denen ich je begegnet bin«, fühlte ich mich gedrängt ihm mitzuteilen.
Der Oberste Hoteldiener, ein spinnendürrer alter Mann, dessen Haut an die Rinde einer Warzenmelone erinnerte, geleitete mich durch einen langen Korridor, der mit Reproduktionen von Giotto- und Rembrandt-Gemälden geschmückt war. Franz, mein ewiger Schatten, folgte wie immer. Wir blieben vor einer rosafarbenen, vernieteten Tür stehen, die eher in den Tresorraum einer Bank als in ein Hotelzimmer zu führen schien – sie hatte sogar ein Kombinationsschloß. »Ihre Suite«, sagte der Hoteldiener, während wir alle drei eintraten.
Suite. Nun ja, sie war kleiner als der Sitz des Papstes und karger ausgestattet: keine Teppiche, keine Sessel, keine Fenster. Die Wände waren sauber und, wie vorhersehbar, rosafarben. Zwei Männer, einer groß, der andere klein, ruhten auf nebeneinanderstehenden Feldbetten und rauchten Zigaretten. »Ihre Mitbewohner«, sagte der Hoteldiener, während er und Franz sich zurückzogen. Die Tür fiel plötzlich ins Schloß, und dann war das gedämpfte Klicken der Verriegelung zu hören.
»Ich bin William«, sagte mein großer Zimmerkollege; er hätte gut Stürmer bei den Bezirksmannschaft von Platon sein können. »William Bell.«
»Ira Temple«, stellte sich sein schmächtiger Kamerad vor.
»Jack Sperry«, sagte ich.
Die folgende Stunde verbrachten wir damit, uns gegenseitig unsere Lebensgeschichten zu erzählen.
Ira, so erfuhr ich, war der typische Schwindler in der Ausbildung. Er haßte Veritas. Er wollte unbedingt heraus. Alles, so führte er aus, selbst die Unehrlichkeit, war besser als das, was er als das in der Stadt herrschende naturgegebene Durcheinander des Althergebrachten und Wahren bezeichnete.
Williams Geschichte ähnelte der meinen eher. Seine ältere Schwester Charlotte, der einzige Mensch auf der Welt, der ihm etwas bedeutete, war vor kurzem auf Amaranth gelandet, einem Planeten, der nur in ihrem Geist existierte. Wenn er lernen würde zu lügen, so sagte sich William, könnte er entweder in Charlottes mythische Welt reisen und sie von deren Wahnsinnsschwerkraft befreien oder sich selbst dort niederlassen.
Die Tür schwang auf, und herein kam ein kleiner, dunkelhäutiger Mann mit hängenden Schultern, einem kahlen Schädel und einer Art zu gehen, die mich an eine Ente mit Osteoporose denken ließ. »Im Laufe der nächsten Woche werdet ihr euch alle in mich verlieben«, sagte er ohne Einleitung und schwenkte seinen Klemmblock. »Ich werde euch so gut behandeln, daß ihr glauben werdet, ihr wärt gestorben und befändet euch im Himmel.« Er bedachte uns mit einem bösartigen kleinen Augenzwinkern. »Das ist eine Lüge. Ich bin Gregory Harness. Manny Ginsburgs derzeitiges Techtelmechtel. Ihr könnt mich Lucky nennen«, sagte er mit eindringlicher Schnellfeuer-Jovialität. »Der Papst bedauert zutiefst, daß er nicht hier sein kann, um euch persönlich einzuweisen, aber sein dichtgedrängter Terminplan erlaubt nicht… wie auch immer, ihr müßt den Mist selbst erledigen. Wer von euch ist Sperry?«
Ich hob die Hand.
»Ich habe
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