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Die Stadt der Wahrheit

Die Stadt der Wahrheit

Titel: Die Stadt der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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nicht-veritasianische…«
    »Dann bist du aufgenommen«, sagte Manny.
    »Herzlichen Glückwunsch«, sagte der Hund.
    »Ich muß dich warnen – die Behandlung schlägt nicht in jedem Fall an.« Manny nippte an seinem Donaldsons. »Ich rate dir, dich der Sache mit allem, was du hast, hinzugeben – sogar mit deiner Seele, auch wenn du überzeugt davon bist, daß du keine hast. Und sieh mir bitte nicht in die Augen.«
    Ich wandte den Blick ab, unschlüssig, ob ich mich über meine Aufnahme freuen oder über die Möglichkeit meines Versagens in düsteres Grübeln verfallen sollte. »Wie stehen meine Chancen, was würdest du sagen?«
    »Erstklassig«, sagte Manny.
    »Wirklich ausgezeichnet«, bestätigte Ernst.
    »Ich würde Geld darauf wetten«, setzte der Papst noch einen drauf.
    »Natürlich«, gab der Hund zu bedenken, »könnte es auch sein, daß wir lügen.«
     
    Am Sonntagmorgen wanderten Martina und ich durch den Wildwuchs von fünfblättrigem Klee außerhalb des Zentrums für Schöpferisches Wohlbefinden, und als wir die Kuppe des Hügels erreicht hatten, riefen wir bei Arnold Cook in seinem Haus im Bezirk Locke an. Nachdem sie behauptet hatte, meine Frau zu sein, erzählte Martina ihm, der Arzt hätte bei mir eine doppelseitige Lungenentzündung festgestellt und ich könnte mindestens eine Woche lang nicht zur Arbeit kommen. Ihre erfundene Geschichte bereitete mir schreckliche Kopfschmerzen und außerdem, um die Wahrheit zu sagen, eine Art sexuelle Erregung.
    Der Museumsdirektor bekundete sein eingeschränktes Mitgefühl, und damit war das erledigt. Was für ein wundervolles Werkzeug, das Lügen, dachte ich: so praktisch und unkompliziert. Allmählich verstand ich, warum es in lange vergangenen Zeiten sich so weitreichender Beliebtheit erfreut hatte.
    Gemeinsam spazierten Martina und ich durch den Park, während Franz Beauchamps sich mit aufdringlicher Unaufdringlichkeit im Hintergrund hielt. Sie ergriff meine rechte Hand; meine Finger wurden zu fünf erogenen Zonen. Heute würde sie nach Veritas zurückkehren, erklärte sie mir, wo sie endlich den Vertrag für einen Job unterschrieben hatte, bei dem sie die Wahlreden für Doreen Hutter, eine Abgeordnete des Bezirks Descartes, schreiben sollte.
    »Du wirst mir fehlen«, sagte ich.
    »Ich komme wieder«, tröstete sie mich und knetete mit der freien Hand ihren barocken Zopf. »Wie alle Schwindler bin ich verpflichtet, mich an neunzig Tagen im Jahr in Satirev aufzuhalten. Den nächsten Freitag werde ich auf dem Jordan verbringen und Frettchen fischen.«
    »Wirst du mich besuchen?« fragte ich diese dralle, exotische Frau.
    Sie starrte zum Himmel hinauf und nickte. »Mit etwas Glück bist du dann schon ein Lügner«, sagte sie, während sie mit ihren hinreißenden Augen den Flug eines Schweins verfolgte. »Wenn du mir noch irgendwelche Worte der Wahrheit zu sagen hast, dann spucke sie jetzt besser aus.«
    »Wahrheit?«
    »Wir Schwindler können damit umgehen, hin und wieder jedenfalls.«
    »Nun, ich nehme an, ich müßte sagen…« Die Realität meiner Konditionierung kam mir ins Bewußtsein, bevor ich zu Ende gesprochen hatte. »Ich müßte sagen, daß ich ein bißchen in dich verliebt bin, Martina.«
    »Nur ein bißchen?« fragte sie und führte mich zum Flußufer, wobei Franz nicht von unseren Fersen wich.
    »Diese Dinge sind schwer mit Mengenangaben auszudrücken.« Zwei Gondeln waren am Anlegesteg angebunden; sie schaukelten auf den Kielwellen eines vorbeifahrenden Außenbordmotorbootes. »Darf ich dich nach deinen Gefühlen für mich fragen?«
    »Ich möchte lieber nicht darüber sprechen.« Martina spreizte die Finger und befreite sich aus meinem Griff. »Letzten Endes würden wir beide nichts davon haben, nichts als Kummer.« Sie stieg in ihre Gondel, nahm den Platz des Bootsführers im Bug ein und senkte das Ruderblatt ins Wasser. »Ich bin sicher, du wirst ein Satirevianer werden«, rief sie mir zu, während sie sich abstieß. »Ich setze großes Vertrauen in dich, Jack«, fügte sie hinzu, während sie in den Dreitausend-Watt-Sonnenaufgang entschwand.
     
    Die Strömung trug Franz und mich nach Süden, an einer Reihe kleiner Häuschen am Ufer vorbei, die mit Gegenständen des schönen Scheins ausgestattet waren: Fußmatten mit Willkommenssprüchen, Blumenkästen, in den Rasen eingelegte Steinmuster in Form von Amoretten oder kleinen Holländerinnen. Mein Beschützer legte mit der Gondel vor einem zweistöckigen, mit Schindeln bedeckten Gebäude an,

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