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Die Stadt der Wahrheit

Die Stadt der Wahrheit

Titel: Die Stadt der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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nicht.«
    Ich betrachtete interessiert die Decke, deren gebogene Oberfläche sich mit Veritas’ Eingeweiden überschnitt – das Betongedärm, die brodelnden, bleiernen Venen, die pochenden Nerven aus Stahl und Kautschuk. Etwas Sonderbares schwebte über meinen Kopf hinweg.
    »Entscheidend ist, daß es Satirev gibt«, fuhr Martina fort, »und daß es funktioniert.«
    Ein Schwein. Ein Schwein? Ja, tatsächlich, es schwebte durch die Luft wie die Miniaturausgabe eines lenkbaren Luftschiffes und schlug mit den kleinen Engelsflügeln. Irgendeine Maschine, ein bizarres Kinderspielzeug? Nein, sein Quieken klang beunruhigend organisch.
    »Schweine haben Flügel«, sagte Franz. Seine Lüge jagte mir einen eisigen Schauder durch den Körper.
    Eine dürre gelbe Katze huschte aus einem Forsythienbusch hervor, ihre Haare waren in katzenhafter Angst aufgerichtet. Sie formte sich zu einem Rechteck aus Fell und schoß auf das Zentrum für Schöpferisches Wohlbefinden zu. Im nächsten Augenblick tauchte ihr Verfolger auf. Ein Hund, vermutete ich im ersten Moment. Aber nein. Die Gestalt war anders. Und sie hatte einen Schwanz, lang und seilartig.
    Der Schauder begann am unteren Ende meines Rückgrats und breitete sich aus. Eine Ratte. Eine Ratte von der Größe eines schwangeren Dachses.
    Und sie jagte eine Katze!
    »Das hier ist ein äußerst merkwürdiger Ort«, sagte ich und sah in Martinas exotisch angehauchte Augen. »Findest du nicht?«
    »Merkwürdig ist ein relativer Begriff«, entgegnete sie.
    »Ich bin ziemlich durcheinander«, sagte ich.
    »Es ist nicht schwer, eine Lüge herzustellen. Mit fortschrittlicher Mikrobiologie läßt sich ein fliegendes Schwein züchten oder eine übergroße Ratte – alles, was man will.«
    »Ich bin trotzdem durcheinander.«
    »Satirev ist etwas gewöhnungsbedürftig«, sagte Franz und setzte ein saftiges Lächeln auf. »Ich bin sicher, du bist in der Lage, damit fertigzuwerden. Du machst den Eindruck eines echten Könners auf mich, Jack.«
    Die Telefonzelle stand auf einer Erhebung, die mit purpurnem Gras und fünfblättrigem Klee bewachsen war. Langsam schlich ich durch die absonderliche Flora – mein Körper fühlte sich an wie eine einzige gewaltige Prellung – und schob die Schiebetür gegen die seitliche Einfassung. Martina und Franz standen neben mir in Hörweite.
    »Ist dir klar, wie du dich zu verhalten hast?« fragte mein Beschützer.
    »Ich glaube schon.«
    »Bei der leisesten Andeutung findest du dich in Veritas wieder – peng! –, eingetaucht in Scopolamin; du wirst dich nicht daran erinnern, jemals hier gewesen zu sein, kein einziges Detail wird dir im Gedächtnis haften bleiben. Das wäre doch überaus schade, nicht wahr?«
    Das Telefon war eine betrügerische Angelegenheit, heimlich an das Netz von Veritas angeschlossen und seine Dienste marktschreierisch anpreisend. Ich streckte den Zeigefinger aus und drückte die entsprechenden Knöpfe.
    Helen nahm erst beim siebten Läuten ab. Offenbar hatte ich sie aus dem Schlaf gerissen. »Hallo?« meldete sie sich verschlafen.
    »Habe ich dich aufgeweckt?«
    »Natürlich hast du mich aufgeweckt«, brummte sie mürrisch, »wo immer du auch sein magst.«
    »Hör zu«, fuhr ich sie schroff an. »Stell mir keine Fragen.«
    »Jack? Bist du das?«
    »Ich bin es. Frage mich nicht, wo ich bin, Helen. Davon hängt alles ab.«
    Meine Frau stieß beleidigt und enttäuscht die Luft aus. »Ich… äh… ich freue mich, deine Stimme zu hören, Jack.«
    »Ich bin bei ihnen. Weißt du, wovon ich spreche?«
    »Ich glaube schon.«
    »Sie prüfen meinen Fall, Helen. Vielleicht nehmen sie mich bei sich auf. Ich hoffe, du bist in dieser Sache nicht mehr gegen mich.«
    »Ich bin gegen dich«, knurrte sie.
    Ich wickelte mir die Telefonstrippe um den Arm und drückte sie fest an meine Haut, wie einen Gebetsriemen. »Hast du etwas von Toby gehört.«
    »Heute ist eine Postkarte gekommen.«
    »Hat er etwas von seinem Gesundheitszustand erwähnt – leidet er unter Gliederschmerzen oder ähnlichem?«
    »Er sagt nur, daß er bei einem Kanurennen mitgemacht hat. Ich soll ihn am siebenundzwanzigsten am Busbahnhof abholen.«
    »Schreibt er nichts von Kopfschmerzen?«
    »Nein.«
    Ich gab dem Plastikmundstück einen Kuß. »Ich werde dich wieder anrufen, sobald ich kann. Leb wohl, Helen. Ich mag dich sehr.«
    »Ich mag dich auch sehr, Jack – aber, bitte, komm dort raus. Bitte!«
    Ich hängte ein und drehte mich zu Martina und Franz um. Hinter ihnen drückte eine

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