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Die Stadt der Wahrheit

Die Stadt der Wahrheit

Titel: Die Stadt der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Schönheit!«
    Ich ging aus dem Raum.
    Die Hotelhalle war dunkel und stickig, durchströmt vom zuckerigen Aroma des Jordan. Der Nachtportier schlief an seinem Platz. Franz Beauchamps saß in einem Korbsessel neben einer eingetopften Palme, der Schatten eines Panamahutes fiel auf sein längliches Gesicht.
    Ich taumelte zur Eingangstür. Sie war verschlossen.
    Aber natürlich, man verließ Satirev entweder angefüllt mit Lügen oder mit Scopolamin, geleitet von Illusion oder Gedächtnisverlust; es gab keinen dritten Weg.
    »Die Behandlung schlägt wohl nicht an?« sagte Franz, während er auf mich zukam. »Laß dich nicht entmutigen.«
    »Ich bin am Boden zerstört«, jammerte ich.
    »Aber, aber – morgen ist auch noch ein Tag für dich.« Franz nahm den Panamahut ab und legte ihn sich aufs Herz – eine Geste des Kummers, wie mir schien, die vorweggenommene Trauer um Toby Sperry. »Jemand möchte dich sprechen«, sagte er.
    »Hm?«
    »Du hast Besuch.«
    »Wen?«
    »Komm mit.«
    Er führte mich an dem schlafenden Portier vorbei und durch den östlichen Korridor bis zu einer Stahltür, die untypischerweise weder eine Sicherheitsklinke noch Schloß oder Riegel aufwies. Auf einem Schild stand VIDEO-SPIELE. Franz drehte den Knopf.
    Es gab keine Video-Spiele in dem Video-Spiele-Raum.
    Dort stand ein blutroter Billard-Tisch.
    Ein Druck von Picassos Demoiselles d’Avignon.
    Martina Coventry.
    »Hallo, Kritiker. Wir waren verabredet, erinnerst du dich?«
    »Um dir die Wahrheit zu sagen, ich hatte es vergessen.«
    »›Um dir die Wahrheit zu sagen‹? Was sind das für Worte aus dem Mund eines Satirevianers?« Martina kam auf mich zu, ihre ausgestreckte Hand flatterte wie ein wundersamer Vogel. »Du siehst unglücklich aus, mein Lieber.«
    »Ich bin kein Satirevianer.« Ich ergriff ihre fleischige Hand. »Ich werde nie einer sein.«
    Martina tippte gegen den Rand von Franz’ Panamahut. »Mr. Sperry und ich möchten ungestört sein«, ließ sie ihn wissen. »Keine Angst, wir werden nicht miteinander Sex treiben oder irgend so etwas.«
    Obwohl ich von Niedergeschlagenheit und Selbstmitleid durchdrungen war, entging mir nicht, wie Martina angezogen war. Wenn man ihren Minirock als Lampenschirm benutzt hätte, hätte er nicht bis zur Fassung der Glühbirne gereicht. Der Riemen ihrer grellen Handtasche verlief über ihren Brustansatz und straffte ihr T-Shirt mit dem Aufdruck DAS LEBEN IST EIN FEST über ihrem Busen, so daß ihre Brüste sich herauswölbten wie zwei geblähte Spinnakersegel.
    Franz tippte an seinen Hut und ging in geduckter Haltung aus dem Raum.
    »Wir wollen deine Gedanken von deiner Dekonditionierung ablenken.« Martina sprang auf den Tisch und streckte sich darauf aus. Sie sah aus wie das Reliefmodell einer besonders lüsternen und gebirgigen Landschaft.
    »Leg dich neben mich.«
    »Das ist keine gute Idee«, entgegnete ich. Es stimmte: eine Nummer mit ihr würde meine Probleme nicht lösen. Ich sollte in Martinas Geist eindringen und sonst in keinen Körperteil; ich sollte lernen, wie sie den entscheidenden Übergang von einer Veritasianerin zu einer Lügnerin geschafft hatte.
    Sie sagte: »Möchtest du nicht?«
    Ich schluckte hörbar. »Nein, ich möchte nicht.« Mein Blut erhitzte sich sprunghaft bis in die Nähe der Temperatur von satirevianischem Schnee.
    »Nein?«
    »Ich bin verheiratet, hast du das vergessen? Ich möchte nicht mit dir schlafen.«
    Natürlich wollte ich. Mit jeder Faser meines Körpers wollte ich es – und jetzt setzte sich das Korrelat meiner Begierde in Szene und zog sowohl Martinas als auch meine eigene Aufmerksam auf sich.
    Ich möchte nicht mit dir schlafen, hatte ich gesagt.
    Doch der entschlossene kleine Held hatte sich erhoben und beulte meinen Overall im Schritt zu einer stoffumspannten Skulptur aus.
    Ich hatte also gelogen. Zum erstenmal seit meinem Gehirnbrand hatte ich gelogen!
    Ich warf meinen Kittel ab, schlüpfte aus dem Overall. »›Ich verberge meine Flügel in meiner Seele‹«, zitierte ich und kletterte auf Martina.
    Ungestüm zerrte sie meine Boxershorts herunter; meine Erektion bohrte sich in die Freiheit, ein nichtwörtlicher Gefängnisausbruch. Ich hatte es geschafft, verdammt noch mal. Ich mochte einen veritasianischen Penis haben, aber ich hatte endlich eine satirevianische Zunge erworben.
    »›Ihre Federn sind weich und trocken!‹« rief ich und schälte Martinas Rock ab.
    »›Und wenn die Welt nicht hersieht!‹« jubelte sie.
    »›Hole ich sie heraus und

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