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Die Stadt - Roman

Titel: Die Stadt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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fügte beides dem Inhalt seines Rucksacks hinzu und streifte dann den zerrissenen Parka über. »Wir können los.«
    Louise rümpfte die Nase. »In den Sachen duftest du nicht gerade nach Rosen.«
    Benjamin grinste trotz seines Unbehagens, als ihm einfiel, dass Laurentius ähnliche Worte an ihn gerichtet habe. »Na so was«, erwiderte er und hob die Brauen. »Dabei habe ich doch gerade erst bei Laurentius gebadet! Wie lange ist das her? Nur einige Wochen, schätzungsweise.«
    Im Licht der Öllampe gingen sie durch den Tunnel, vorbei
an Wänden, teils aus Felsgestein, teils aus Beton. Sie hatten nicht mehr als fünfzig oder sechzig Meter zurückgelegt, als es plötzlich hinter ihnen klirrte.
    Louise griff nach Benjamins Arm. »Das war die Flasche Medizin, die ich weggeworfen habe. Etwas ist gegen sie gestoßen.«
    Sie wechselten einen kurzen Blick und gingen schneller.

    »Wie Sterne am nächtlichen Himmel«, sagte Louise. »In der Stadt muss Tag sein.«
    »Wenn das Licht von der Stadt kommt.«
    Benjamin hatte die Öllampe heruntergedreht; das Licht von oben wirkte jetzt heller. Sie befanden sich in einer großen Höhle, in deren Mitte eine völlig verrostete Lore stand. Schief und wie trostlos hockte sie auf Schienen, die in einem von mehreren Tunneln verschwanden. Auf der anderen Seite verliefen schmale Rampen und Stege zu kleineren Öffnungen in den Wänden, fünf oder sechs Meter über dem Boden. Ebenso durchlöchert wie die Wände war auch die Decke. Dutzende von Schächten führten nach oben, manche von ihnen so schmal, dass nicht einmal ein Bein in sie hineingepasst hätte. Andere boten etwa so viel Platz wie der Schacht, durch den Benjamin und Louise in die Tiefe geklettert waren. An mehreren Stellen hingen Strickleitern herab. Benjamin hatte an einer von ihnen gezogen, und die Stricke waren sofort gerissen.
    Am Ende dieser Schächte – die Entfernung ließ sich nur schwer abschätzen, aber Benjamin vermutete, dass es mehrere Hundert Meter waren – zeigte sich Licht, das an der hohen, dunklen Höhlendecke tatsächlich aussah wie der Schein von Sternen an einem schwarzen Firmament.

    »Woher soll das Licht sonst kommen?«
    »Denk an das Arsenal«, sagte Benjamin und trat langsam durch die Höhle, die Öllampe hoch erhoben. »Woher kam dort das Licht?«
    »Wir könnten versuchen nach oben zu klettern«, sagte Louise nach einer kurzen Pause. »Zurück in die Stadt.«
    »Wenn sie dort oben wirklich auf uns wartet. Außerdem wollten wir die Stadt verlassen.«
    »Du wolltest sie verlassen, Ben.«
    »Wir waren uns doch einig.«
    Louise zuckte die Schultern und blickte in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Nichts regte sich in dem Tunnel, aber das Licht der Lampe reichte auch nicht sehr weit, und was sich jenseits ihres matten Scheins befand, blieb verborgen.
    »Welchem Zweck könnte dieser Raum einst gedient haben ?« Benjamin ging langsam umher und deutete auf die Reste der Lore und die Schienen. »Ein Verkehrsknotenpunkt? Wofür? Ich glaube nicht, dass dies hier zum U-Bahn-System gehörte. Vielleicht wurde in diesen Schächten etwas abgebaut.«
    Louise sah noch immer nach oben, als sehnte sie sich in die Stadt zurück. Schließlich senkte sie den Kopf, trat unter einen der vertikalen Schächte und griff nach der dort hängenden Strickleiter. Es erging ihr nicht anders als zuvor Benjamin – die Stricke zerbröckelten unter ihren Fingern.
    »Stell dir eine Welt vor, in der man bei Ausgrabungen die Knochen von seltsamen Geschöpfen findet«, sagte sie und folgte Benjamin durch die große Höhle. Das Licht der Öllampe huschte über steinerne Wände; Beton gab es hier
nicht. »Bei Untersuchungen stellt sich heraus, dass die Knochen Millionen von Jahren alt sind und von prähistorischen Tieren stammen, die einst auf jener Welt wandelten.«
    »Wie die Dinosaurier auf der Erde«, warf Benjamin ein.
    »Wie die Dinosaurier«, bestätigte Louise. »Mithilfe der Knochen rekonstruieren die Archäologen die biologische Geschichte der Welt. Aber was sie nicht wissen: Die Knochen scheinen nur Jahrmillionen alt zu sein. Ein Gott, beziehungsweise eine Wesenheit mächtig wie ein Gott, versteckte sie bei der Erschaffung jener Welt im Boden, damit sie irgendwann von Archäologen gefunden werden, die aus ihnen ein viel größeres Alter der Welt ableiten.«
    Benjamin drehte sich zu ihr um. »Du meinst, alles um uns herum könnte ein … Trick sein.«
    »Vielleicht gab es die Lore dort gestern noch gar nicht«, sagte Louise.

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