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Die Stadt - Roman

Titel: Die Stadt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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festzuhalten, während Laurentius ihn zu einer weiteren Treppe führte. Welchen Sinn hatte ein Observatorium in
dieser Stadt? Welche Sterne sollten durch das große Hauptteleskop beobachtet werden, dessen Sockel, umgeben von Elektromotoren, in der Mitte des Gebäudes aufragte? Es gab keine richtigen Sterne am Himmel, nur Flecken, die versuchten wie Sterne auszusehen, und der Mond war ebenso falsch wie die Sonne.
    Benjamins Beine protestierten heftig auf der ersten Stufe; er musste sich mit einer großen Willensanstrengung dazu zwingen, auch die nächsten zu erklimmen. Im ersten Stock führte ein Gang ringsum an den Wänden des Observatoriums entlang, und an einem der Fenster stand ein kleines, mobiles Teleskop. Den Stuhl dahinter zog Benjamin sofort zu sich heran, sank darauf und lehnte sich zurück. Die Erleichterung war so groß, dass er für einige Sekunden die Augen schloss.
    Dann beugte er sich vor und sah durchs Okular.
    »Die Schärfe lässt sich mit den Knöpfen an der Seite einstellen«, sagte Laurentius.
    Benjamin drehte sie und sah Louise, so nahe, als wäre sie nur einige Meter entfernt. Sie lag auf dem Bauch, im Innenhof eines großen, barocken Bauwerks, den Kopf zur Seite gedreht und die Augen geschlossen. Drei schwarze Stäbe, jeder etwa einen Meter lang und mit nadeldünnen Widerhaken versehen, steckten in ihrem blutigen Rücken. Einer von ihnen bewegte sich und glitt langsam aus der Wunde, wie das Messer aus der Brust des Streuners, den Louise im Wolkenkratzer getötet hatte.
    »Ich muss zu ihr und sie ins Hospital bringen!«, stieß Benjamin hervor und wollte aufspringen. Stattdessen glitt er zu Boden und schlief ein.

    Plötzliche Musik riss ihn aus tiefem Erschöpfungsschlaf. Er hatte noch nicht ganz begriffen, wo er sich befand und was geschehen war, als Laurentius in seinem Blickfeld erschien und sich einem Gerät zuwandte, in dessen Display bunte Lichter tanzten.
    »Entschuldigung, Entschuldigung!«, rief er, um den Lärm zu übertönen. Und als die schrillen Klänge zu einem leisen Summen im Hintergrund wurden: »Entschuldige, mein Junge, ich habe vergessen, die Musik auszuschalten, als die letzte Elektrostunde zu Ende ging. Die Stadt hat Strom! Sieh es dir an!«
    Benjamin wäre lieber liegen geblieben – auf einem Feldbett im großen runden Raum, der den Sockel des Hauptteleskops umgab –, aber Laurentius ergriff seinen Arm und zog ihn hoch. Er wankte zu einem der größeren Fenster im Erdgeschoss, lehnte sich dort schlaftrunken und mit immer noch weichen Knien an die Wand und sah nach draußen.
    Die Stadt war voller Lichter. An vielen Stellen brannten Straßenlaternen, im Stadtzentrum blinkten zahlreiche Leuchtreklamen, und Ampeln regelten einen nicht existierenden Verkehr.
    »Beeindruckend, nicht wahr?«, sagte Laurentius. »Das müsstest du nachts sehen. Dann könnte man dies für eine normale Stadt halten, voller lebender Menschen.«
    Eine normale Stadt, voller Lichter. Benjamin dachte benommen an die andere Stadt, deren Lichter er im zurückweichenden Nebel gesehen hatte. War das die Erklärung? Eine »Elektrostunde«? Steckte nicht mehr dahinter als Strom, der plötzlich wieder durch Leitungen floss?
    Er drehte sich um. »Ich muss zu Louise.«

    »In deinem derzeitigen Zustand kämst du nicht einmal von diesem Hügel runter. Und außerdem bist du nackt, falls du es noch nicht bemerkt haben solltest. Ich habe deine Sachen in Seifenlauge gelegt.«
    Benjamin blickte an sich herab und sah sein verschrumpeltes bestes Stück in einem Dschungel aus Haaren. Weiter unten bewegten sich zwei große Zehen, als wollten sie ihm zuwinken. Es war noch alles da, obwohl es eigentlich fehlen sollte. Er war gestorben, weil ihm die Beine abgerissen worden waren.
    Sein Mund bewegte sich, während er noch nach unten starrte. »Wie bin ich gestorben?«
    »Weißt du es nicht?«
    »Ich erinnere mich an meinen Tod«, ächzte Benjamin. »Aber ich erinnere mich auch daran, auf andere Art und Weise gestorben zu sein.«
    »He!«, rief Laurentius, der die letzten Worte nicht gehört zu haben schien. » Das nenne ich originell! Komm, mein Junge, sieh es dir an.«
    Benjamin taumelte zum Hauptteleskop und sah durchs Okular, nachdem Laurentius zurückgewichen war.
    »Ich sehe nichts, nur grauen Himmel.«
    »Mach die Augen richtig auf.« Der Greis schnaufte. »Mein Junge, zu behaupten, dass du nach Rosen duftest, wäre stark übertrieben. Vielleicht sollte ich dich zu deinen Sachen in die Seifenlauge legen.«
    Plötzlich

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