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Die Stadt unter dem Eis

Die Stadt unter dem Eis

Titel: Die Stadt unter dem Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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bisher war es
ihnen mehr oder weniger erfolgreich gelungen, ihm zu
entgehen. Sie waren mehr als einmal in den sinnlosen
Schlagabtausch hineingezogen worden, den Deutschland und
Österreich mit dem Rest der Welt führten, aber im Großen und
Ganzen kannten sie nicht einmal seinen genauen Verlauf. Jetzt
schien es ihm, als hätte der Albtraum sie endlich eingeholt. Und
dieser Gedanke machte ihm furchtbare Angst. Während er
Trautman folgte, sah er mehrmals zum Unterseeboot zurück,
und es erschien ihm jedes Mal unheimlicher und bedrohlicher.
    Sie gingen nicht wieder in die Hafenkneipe, wie Mike erwartet
hatte, sondern direkt zu Kanuat, der zwar ebenfalls am Hafen
lebte, aber am anderen Ende. Weder Trautman noch Mike
sprachen in dieser Zeit auch nur ein einziges Wort, sondern
hingen jeder ihren eigenen düsteren Gedanken nach.
    Immerhin sahen sie jetzt nicht nur deutsche Soldaten, sondern
endlich auch ein paar Einheimische. Und zumindest sie
entsprachen genau dem, was Mike erwartet hatte. Es waren
zumeist kleine, stämmige Gestalten mit wettergegerbten
Gesichtern und leicht mongolischen Zügen, die Felljacken und
–hosen und gefütterte Handschuhe und Stiefel trugen.
    Was er nicht erwartet hatte, das war die fast offene
Feindseligkeit, die ihnen entgegenschlug.
Die Blicke, die die Inuit ihnen zuwarfen, meistens dann, wenn
sie glaubten, dass sie es nicht bemerkten, waren misstrauisch
und in mehr als einem Fall auch regelrecht wütend. Einmal
erlebte er es sogar, dass eine Mutter ihr Kind von der Straße
holte und die Haustür zuschlug, als sie vorbeigingen.
»Was ist denn hier los?«, fragte Mike.
»Was hast du denn erwartet?« Trautman lachte bitter. »Sie
haben gesehen, dass wir aus Vom Dorffs Haus gekommen sind.
Vermutlich glauben sie, dass wir zu ihm gehören.«
»Der kaiserliche Handelsattaché scheint hier nicht sonderlich
beliebt zu sein«, vermutete Mike.
»Das sind Besatzungstruppen nie«, sagte Trautman.
Er seufzte. »Ich hoffe nur, wir können wenigstens Kanuat
davon überzeugen, dass wir nichts mit Vom Dorff und seinen
Scherzen zu tun haben.«
Wie sich herausstellte, waren seine Befürchtungen nicht ganz
grundlos. Kanuat wohnte in einer Hütte, die genau so ärmlich
war wie der allergrößte Teil der anderen Gebäude, die
Sadsbergen bildeten, aber einen niedrigen Anbau hatte, in dem
die Schlitten und vor allem die Hunde untergebracht waren.
Trautman begrüßte ihn in gebrochenem Norwegisch, wechselte
dann aber wieder zu Deutsch und wandte sich an Mike. »Kanuat
spricht Deutsch«, sagte er. »Ihr könnt euch also unterhalten.«
Kanuat, der für einen Angehörigen seines Volkes
überraschend hoch gewachsen und schlank war, musterte
abwechselnd Trautman und Mike und seine Blicke waren kaum
freundlicher als die, denen sie auf der Straße begegnet waren.
»Ich weiß, dass wir zu früh sind«, begann Trautman. »Wäre es
möglich, dass wir etwas eher aufbrechen?«
»Warum?«, erkundigte sich Kanuat misstrauisch.
»Mike ist ungeduldig«, antwortete Trautman ausweichend.
»Er kann es kaum noch erwarten. Ich habe ihm diese Fahrt seit
einem Jahr versprochen.«
»Dann kann er auch noch zwei Stunden länger warten«,
antwortete Kanuat abweisend. »Ich muss gewisse
Vorbereitungen treffen. Und die Hunde sind noch nicht
gefüttert.«
Trautman runzelte die Stirn. »Was ist los mit Ihnen, Kanuat?
Heute Morgen waren wir uns doch noch einig. Wollen Sie mehr
Geld?«
»Ich habe Ihnen den üblichen Preis genannt«, sagte Kanuat.
Seine Stimme klang fast verächtlich. »Ich will, was mir zusteht,
nicht mehr und nicht weniger.«
»Worum geht es dann?«
»Ich wusste nicht, wer ihr seid«, antwortete Kanuat offen.
»Ihr wart bei Vom Dorff.«
»Wir haben nichts mit ihm zu tun«, sagte Trautman. »Ich
wiederhole mein Angebot: Wir kaufen Ihr Gespann für das
Zehnfache des normalen Preises.
Und Sie bekommen es zurück, sobald wir wieder hier sind.«
Einige Sekunden lang dachte Kanuat über diesen Vorschlag
nach, aber dann schüttelte er wieder den Kopf. »Was nutzt mir
Geld, wenn ich tot bin? Ich fahre euch, wohin ihr wollt, und
habe mit allem anderen nichts zu tun. Und jetzt könnt ihr mir
helfen, den Schlitten fertig zu machen. Ich versorge inzwischen
die Hunde.«
Trautman setzte dazu an, zornig zu widersprechen, besann
sich dann aber eines Besseren und wandte sich einem der
großen geflochtenen Hundeschlitten zu, die aufrecht an die
Rückwand der Hütte gelehnt dastanden. Mike hätte ihm ja gerne
geholfen, wusste aber nicht

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