Die Stahlkönige
ließ, erschien wie durch Zauberei ein Becher eisgekühlten Weins vor ihr. Unauffällig löste eine Hofdame die Schnüre des Mieders, denn Shazad bestand darauf, viel zu eng geschnürt zu werden, um die immer fülliger werdende Taille zu verbergen.
Königin Shazad von Neva war eine gutaussehende Frau in den Vierzigern, deren einstmals schwarzes Haar von grauen Strähnen durchzogen wurde. Noch zeugte ihr Gesicht von Schönheit, aber die Lasten und Sorgen des hohen Amtes hatten tiefe Falten hinterlassen, die von einer Kraft zeugten, die in ihrer Jugend nur an der aufrechten Haltung ersichtlich war.
»Waren deine Ratgeber wieder einmal unverschämt, Majestät?«, fragte Lady Zina, ihre engste Freundin.
»Nein, aber sie waren entsetzlich pessimistisch. Diesmal jedoch zu Recht, wie ich vermute. Draußen wartet Bardas auf mich, und ich muss noch mit ihm sprechen, ehe ich mich ausruhen kann.«
»Du gestattest deinen Ratgebern zu viele Freiheiten, Majestät«, erklärte Gulda, die Frau mit den harten Gesichtszügen, die Shazad sämtlichen Hofklatsch hinterbrachte.
»Sie nützen mir nichts, wenn sie wie gehorsame Schoßhunde sind«, entgegnete Shazad. »Schwere Zeiten verlangen starke Männer. Vor vielen Jahren lernte ich, was geschieht, wenn Schwächlinge und Hofnarren Macht innehaben. Ich brauche mutige Männer, und wenn sie manchmal ein wenig zu frei sprechen – nun, ich habe mir im Laufe der Jahre ein dickes Fell angeschafft. Besser einen schlechten Geschmack im Mund als Shasinn im Land.«
»Du hast natürlich Recht«, stimmte Zina ihr bei, die völlig anderer Meinung war. Sie wäre glücklicher, dachte Shazad, wenn alle Männer, der Prinzgemahl inbegriffen, sich der Königin nur auf den Knien oder am besten auf dem Bauch genähert hätten.
»Holt Bardas und lasst uns allein«, befahl sie. Lautlos verschwanden die Damen. Wenig später erschien der Oberste Ratgeber. Er war ein hochgewachsener, fülliger Mann, ein ehemaliger Soldat, der die besten Jahre hinter sich hatte.
»Setz dich, Bardas.« Sie wies auf einen Stuhl, der ihrem Sessel gegenüber stand. »Nimm dir Wein und dann reden wir über die drohende Gefahr.«
»Dann haben wir viel zu besprechen, Majestät.« Bardas ließ sich auf dem Stuhl nieder und nahm einen Becher in die Hand, ohne jedoch zu trinken.
»Ich halte mich nicht für zurückgeblieben«, sagte Shazad.
»Natürlich nicht!«, beteuerte Bardas hastig.
»Dennoch muss mir irgendjemand erklären, warum dieser Wechsel des Metalls für so große Bestürzung sorgt. Ich weiß natürlich, dass Stahl viel härter ist als Bronze, aber ist ein härteres Schwert der Garant für militärische Überlegenheit?«
»In diesem Fall befürchte ich es«, antwortete Bardas mit sorgenvoller Miene.
»Wir besitzen doch auch Stahl«, entgegnete Shazad. »Seit Jahren kaufe ich es von König Hael. Alle unsere Offiziere besitzen Stahlwaffen.«
»Das reicht nicht«, widersprach der Ratgeber. »Wenn sämtliche Soldaten Gasams Stahlwaffen haben, befinden sie sich in einem entsetzlichen Vorteil. Ein stählernes Schwert durchdringt unsere Brustpanzer und die Schilde aus Holz und Leder, als wären sie aus Papier gemacht. Sogar die Bronzerüstungen der Offiziere können die Speere und Pfeile nicht abhalten. Aber das ist noch nicht alles. Bedenke, Majestät, dass unsere Soldaten in ihrem Leben kaum jemals Stahl gesehen haben. Das Metall ist beinahe legendär und das Symbol der Unbesiegbarkeit. Noch vor wenigen Jahren galt König Gasams Stahlspeer nicht nur als ungewöhnlich kostbare Waffe, sondern auch als Zeichen der Götter, dass er dazu bestimmt war, die Welt zu regieren.
Was wird geschehen, Majestät, wenn unsere Männer Gasams Horden gegenüberstehen und sehen, wie sich das Sonnenlicht auf stählernen Speerspitzen bricht, wenn die Stahlschwerter aus den Scheiden gezogen werden und die Shasinn auftauchen, die nicht mit Bronzespeeren, sondern ebenfalls mit stählernen Waffen ausgerüstet sind? Ich sage dir, was dann geschieht, Majestät: Deine Soldaten werfen ihre Waffen weg und fliehen.«
»Niemals!«, rief Shazad und verschüttete ein wenig Wein. »Ich habe doch nicht die beste Armee in der Geschichte Nevas aufgebaut, damit sie ohne Gegenwehr vor Wilden davonläuft!«
»Majestät!«, unterbrach sie der Ratgeber bestürzt. »Ich wollte doch nur …« Sie brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.
»Ich glaube nicht, dass die Lage so ernst ist, wie du befürchtest.« Sie beruhigte sich wieder. »Wir werden mit
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