Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)

Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)

Titel: Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Hellbeck
Vom Netzwerk:
Stalingrad-Front als Scharfschützenregiment berühmt. Berichte über die Tätigkeit der einzelnen Scharfschützen im Regiment waren permanent in der Zeitung zu lesen. Das stimulierte und inspirierte die Scharfschützen und machte ihre Erfahrung auch unter den Soldaten anderer Einheiten bekannt. Saizew war ein fähiger Agitator, er sprach überzeugend und kraftvoll. Als Mitglied des Komsomol-Büros ging er durch die Einheiten, und während er Komsomol-Arbeit betrieb, agitierte er für die Scharfschützenbewegung.
    Bei der aktiven Verteidigung Stalingrads spielte die tägliche Befestigung der vordersten Linie eine wichtige Rolle. Ich zum Beispiel war vom Regimentsstab speziell dem 1. Bataillon auf dem Mamajew-Hügel zugeteilt worden. Bataillonskommandeur war Oberleutnant Georgi Benesch. Ich war alle zwei, drei Tage auf dem Mamajew-Hügel, und jedes Mal sprachen Benesch und ich über die Befestigung der vordersten Linie. […] Kommandeur Benesch war ein wirklich kühner Mann: Aufklärer, Scharfschütze und ausgezeichneter Taktiker. Er dachte nie an den Tod, er verachtete den Tod. Wenn er gefragt wurde, ob er den Tod fürchte, antwortete er, dass er den Tod bis zur Schlacht um Kiew in sich getragen, ihn nach Kiew aber aus seinem Herzen verbannt habe. Es gab da einen Moment: Wir gingen miteinander zur vordersten Linie. Stiegen den Mamajew-Hügel rauf und gerieten unter MG-Beschuss der Deutschen. Man musste sich hinwerfen. Ich rief ihm zu: »Leg dich hin!« Er machte ständig Witze und antwortete mir lachend: »Wenn Benesch in der Schlacht um Stalingrad stirbt, dann stirbt er stehend.« Er neckte die Leute auch gerne. Als wir an der vordersten Linie angekommen waren, sah ich niemanden in der Nähe, aber Benesch machte sich zum Schuss mit dem Scharfschützengewehr bereit. Ich hob das Periskop und schaute mich um. Sofort wurde auf das Periskop geschossen, so aufmerksam beobachteten uns die Deutschen. Ich ging an einen anderen Platz. Benesch reckte sich aus der Stellung und begann zu schießen. Ich sah, dass er die Mütze abgenommen hatte und über das Periskop hinwegschaute. Ein Deutscher sprang aus dem Panzer und rannte zum Tank. Benesch erwischte ihn. Er sagte, das sei sein elfter getöteter Deutscher gewesen.
    Wir waren einige Male zusammen unterwegs, sowohl tagsüber als auch nachts, und er achtete nie auf seine Sicherheit. Man könnte sogar sagen, dass es ein Verbrechen war, wie fahrlässig er mit sich selber umging. Und er starb auch sinnlos, auf dumme Weise. Er ging von einem Haus zum anderen, und eine verirrte Granate tötete ihn. Er war mit der Krankenschwester Rada Sawadskaja unterwegs und sagte zu ihr: »Auch wir beide verteidigen Stalingrad, Rada.« Benesch war ein Dichter. Er war ein Stiefneffe von Wassili Grossman. Vor einiger Zeit hatte er mich gebeten, Grossman ausfindig zu machen, aber ich konnte ihn nicht finden. Benesch war für eine Auszeichnung vorgeschlagen, und die Anordnung zu seiner Beförderung und Auszeichnung traf drei Tage nach seinem Tod ein. Ausgezeichnet wurde er für die Schlacht um Kastornaja [641]   . Zu Grossman muss ich sagen, dass er, als er mit dem Regimentskommandeur sprach, nicht einmal nach Benesch fragte oder sich für sein Tagebuch interessierte. Sein Tagebuch ist verbrannt. Im Tagebuch schimpfte er oft über feige Kommandeure, dort standen viele Gedichte von ihm und zutreffende Äußerungen. Benesch wurde auf dem Friedhof am Wolgaufer begraben. Seitdem wurde dieser Friedhof zum Friedhof der Kommandeure des 1047. Regiments. [642]  

    [Fortsetzung des Gesprächs am 8. Mai 1943.]

    Niemand wünschte sich so sehr wie Benesch, den Hügel einzunehmen, und niemand sprach so häufig darüber. Man konnte nachts zu ihm kommen und zu hören kriegen: »Komm, wir gehen zur Vordersten.« »Gut.« Zu jeder Tages- und Nachtzeit ging er dorthin. Er stellte Überlegungen an, schlug vor, von Norden her zu kommen und die Wasserhochbehälter zu umgehen.
    Außer Batjuks Division war vom 21. September bis zum 12. Januar keiner auf dem Mamajew-Hügel. Wir rückten mit großen Verlusten auf den Mamajew-Hügel vor. Die Deutschen wollten uns ganz und gar vom Hügel runterschmeißen. Und wir wollten die Wasserhochbehälter einnehmen, koste es, was es wolle, denn der Mamajew-Hügel ist die beherrschende Anhöhe über der Stadt, und bei klarem Wetter beträgt die Sichtweite von dort aus um die zehn Kilometer. Der Hügel ragt etwa 80 Meter über Stalingrad auf. Es ergab sich, dass wir anfangs nach

Weitere Kostenlose Bücher