Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)

Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)

Titel: Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Hellbeck
Vom Netzwerk:
oben feuern mussten. In Hinterhangstellung zu verteidigen ist in militärischer Hinsicht die gefährlichste und unbequemste Position. Man kann kein erfolgreiches Feuersystem aufbauen. Die ganze Zeit mussten wir uns zum Kamm hochbewegen, und wenn es uns gelang, die Deutschen abzuwehren und in der Nacht fünf bis sieben Meter voranzukommen, galt das schon als Sieg. […]
    Am 18. Oktober passierte etwas Interessantes. Die Stimmung war gut. Als ich die Stadt vor mir sah, empfand ich plötzlich Stalingrad als Ganzes und erinnerte mich an Zarizyn, daran, wie ich noch vor kurzem am Lehrstuhl des Pädagogischen Instituts einen Vortrag über die Verteidigung Zarizyns gehalten hatte. Und jetzt verteidigte ich Stalingrad selber. Ich erzählte den Kameraden von meinen Erinnerungen und sagte, im Jahre 1918 sei der Mamajew-Hügel Gefechtsstand und Beobachtungsstelle des Genossen Stalin gewesen. Das war kaum bekannt. Sie wussten, dass Stalin in Zarizyn gewesen war und Zarizyn verteidigt hatte, aber Details kannten sie nicht. Benesch interessierte sich für Einzelheiten. Er zog mich in Oberleutnant Litwinenkos Unterstand, wo etwa 15 Mann versammelt waren, und brachte mich dazu, von der Verteidigung Zarizyns zu erzählen. Ich hielt da eine Art Vorlesung von einer Stunde Dauer. Die Erinnerungen waren noch frisch und passten hierher. Als wir aus dem Unterstand kamen, wollten alle die Gräben von 1918 anschauen. Benesch ergriff die Gelegenheit und bat mich, auch in anderen Kompanien von der Verteidigung Zarizyns zu berichten. Danach fühlten die Soldaten die symbolische Bedeutung der Verteidigung Stalingrads noch stärker. Dass Stalin hier gewesen war, drang tief in die Seelen der Soldaten ein und befeuerte ihre Moral. Und Benesch wollte den Mamajew-Hügel außerdem noch deshalb unbedingt einnehmen, weil er so eine Geschichte hatte. Aus Spaß nannten wir den Mamajew-Hügel einen heiligen Ort, den Ort, an dem Stalin war.
    Am 20. November erging der Angriffsbefehl an die Division und die gesamte 62. Armee. Soldaten und Kommandeure nahmen den Befehl mit großem Enthusiasmus auf. […] Unser Regiment war die Einheit in unserer Division, die den Angriff auf den Mamajew-Hügel und die Behälter durchführen sollte. Benesch war zu dem Zeitpunkt schon tot. Kommandeur des 1. Bataillons war Schidkich. Das 2. Bataillon stand bei der Fabrik »Metis«, das 3. war mit uns am Südhang des Hügels und griff auch an, aber die entscheidende Aufgabe sollte das 1. Bataillon des 1047. Regiments übernehmen. Zu dem Zeitpunkt war bereits die neue Taktik der Angriffskämpfe ausgearbeitet worden. Damals wusste man schon, dass es viel effektiver war, mit kleinen Sturmtrupps anzugreifen. In allen Bataillonen und Regimentern griffen kleine Sturmtrupps an, und das war auch die einzige Möglichkeit, obwohl der Mamajew-Hügel keine Stadt und kein Dorf, sondern ein Feld war.
    Die ersten Angriffe hatten keinen Erfolg, und die Verluste waren sehr hoch. Die Männer warfen sich in den Sturm. Kommandeure gingen gegen jede Regel vorneweg, aber es nützte nichts. Von 20 blieben vier, fünf Mann im Bataillon übrig, die anderen waren verwundet oder tot. Jeden Tag griffen wir drei- bis viermal an, und zwar zu unterschiedlichen Zeiten – frühmorgens, in der Abenddämmerung, mittags, nachts. Wir probierten alles aus, aber es nützte nichts. In den ersten Tagen griffen wir zusammen mit Panzern an. Zwei Panzer gelangten hinter die Wasserbehälter, einer verbrannte, einer blieb verschollen. Die anderen drei kamen nicht durch, einer ging kaputt, die anderen hatten Brandschäden.
    Übrigens war die Artillerievorbereitung gerade in der heißen Phase nicht besonders gut, die unterstützende Artillerie schoss oft ungenau und traf die eigenen Leute. Am 20., 21., 22., 23., 24., 25. wurde ununterbrochen um die Wasserhochbehälter gekämpft. In den ersten Tagen war ich im Stab, der Regimentskommandeur und der Stabschef waren die ganze Zeit da. Am 26., 27., 28. war ich an der vordersten Linie, an der Beobachtungsstelle und an der vordersten Linie, mit Oberleutnant Ustjuschanin, dem Bataillonskommandeur. Fünf, sechs Tage lang gingen wir mit drei Bataillonen gegen die Wasserbehälter an. Schossen frontal und von den Flanken aus. Am sechsten Tag konnten wir uns den Behältern auf 200 Meter von Norden nähern und sie unter Beschuss nehmen. Die Lage der Deutschen verschlechterte sich. Wir hatten schon die Möglichkeit, von den Flanken aus zu feuern. Das 3. Bataillon ging nach Süden

Weitere Kostenlose Bücher