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Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)

Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)

Titel: Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Hellbeck
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dem anderen frontal und etwas von der rechten Flanke aus den Sturm auf Feuerstellungen und Unterstände.
    Ich war im Gefechtsstand des 2. Bataillons, etwa 70 Meter von der vordersten Linie entfernt an der Bahnlinie. Wir griffen in kleinen Gruppen an, insgesamt 40 Mann. Die Deutschen besaßen eine deutliche Überlegenheit an Truppen und MGs. Wir waren ihnen an Granatwerfern überlegen. Bis um ein Uhr mittags hatte man sich von beiden Seiten wie üblich beschossen. Es war ein kalter Tag, es herrschte Frost. Von unserer Seite aus hatte es keinerlei Artillerievorbereitung gegeben. Überall war es still. Man sah, dass die Deutschen sich in den Unterständen verkrochen hatten und keinen Angriff erwarteten, denn es war eine ungewöhnliche Zeit für einen Angriff. Fünf Kanonen standen bei uns auf offenem Feld. Sie fingen an, auf die Unterstände zu feuern, aus denen Rauch aufstieg. Der Angriff verspätete sich um eine halbe Stunde. Eine Gruppe MPi-Schützen in weißen Tarnumhängen liefen hundert Meter vor, stürmten in die deutschen Gräben und teilten sich für die Unterstände an beiden Enden auf. Die Deutschen sprangen aus den Unterständen, und unsere Leute fanden sich plötzlich ganz dicht vor ihnen. Die eine Gruppe wurde vom Rotarmisten Antonow geführt, die zweite von Sergeant Kudrjawzew, die dritte von Unterleutnant Babajew, die vierte von Unterleutnant Maximow. Alle Männer zeichneten sich an diesem Tag und in den darauffolgenden Kämpfen aus.
    Mir kam es so vor, als würde noch kein richtiger Kampf stattfinden, sondern nur eine Vorbereitung. In den vier Monaten Stalingrad hatten wir uns dermaßen an die Gefahr gewöhnt und waren vor lauter Gefahr dermaßen abgestumpft, dass es uns oft so vorkam, als wären wir in einer Übung, nicht im Krieg. Auch dieses Mal war es so, es kam mir vor, als liefe eine Übung. Unsere Soldaten trugen weiße Tarnumhänge, die Deutschen ohne Umhänge waren als schwarze Figuren sichtbar. Vor Kälte stand Dampf vor den Mündern der Männer.
    In den Graben eingedrungen, nahm Antonow sein Gewehr beim Lauf und zog es den Deutschen links und rechts über den Schädel. Übrigens, Bajonette benutzten wir in Stalingrad nicht, alle hatten sie abgelegt. Ich hatte den Befehl gegeben, aus Kanonen über die Köpfe der Deutschen zu feuern, um näher kommende Gruppen durch den Beschuss abzuschneiden. Antonows Herumfuchteln mit dem Gewehr verstanden die Soldaten als Signal, das Feuer einzustellen, und ein Scharfschütze schrie mir zu, wir sollten das Feuer einstellen.
    Ich sah durchs Fernrohr, wie Antonow auf die Deutschen einprügelte und wie die Gruppe von Kudrjawzew in die andere Richtung ging und Handgranaten in die Gräben der Deutschen warf. Es entspann sich ein heftiger Kampf mit Handgranaten. Dann ging Maximows Gruppe vor. Alles geschah innerhalb von 15 bis 20 Minuten. Die Deutschen waren noch nicht zur Besinnung gekommen und feuerten noch nicht richtig. Und es wirkte sonderbar, dass ein Nahkampf stattfand und die Deutschen nicht feuerten. Von unserer Seite gab es ebenfalls weder MG- noch Granatwerfer-Feuer. Das erklärte sich dadurch, dass man fürchtete, mit heftigem Beschuss die eigenen Leute zu töten. Der Kampf um die Höhe spielte sich in den deutschen Gräben ab.
    Als unsere Soldaten in den weißen Umhängen die Höhe hinaufliefen, schickten die Deutschen von der Höhe Verstärkung gegen die Angreifer. Da eröffneten wir MG-, Granatwerfer- und Artilleriefeuer, und den Deutschen gelang es nicht, unsere Leute abzuwehren. An dem Tag eroberten wir einen großen Teil der Höhe, aber nicht die ganze. […] Am 16. Januar hatten wir die Höhe komplett eingenommen und die Deutschen auf den Westhügel abgedrängt. Die Kämpfe dauerten also zwei Tage. Danach wurde auf der Höhe die Rote Flagge gehisst, mit der Aufschrift: »Für die Heimat, für Stalin!« Die Parole hatte der Regimentsagitator, Hauptmann Rakitjanski, geschrieben.

»Die Rote Fahne weht auf dem Mamajew-Hügel« (1943). Fotograf: Georgi Selma
    […]
    Den Tag des Zusammentreffens mit der Don-Front, den 26. Januar, nannten wir einen historischen Tag. Ein unvergesslicher Tag, ein unvergessliches Zusammentreffen. Ich war im Regimentsstab. Es war schwer, im Stab zu sitzen, während der Kommandeur und der Stabschef nach vorne gegangen waren. Ich war durch das Telefon mit der Beobachtungsstelle verbunden und konnte nicht weg.
    Um zehn Uhr morgens sah der Aufklärer Schawrin in der B-Stelle [643]   des 1. Bataillons, wie sich neun

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