Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)
Panzer von Nordwesten dem Mamajew-Hügel näherten. Wir hatten das Gefühl, dass das unsere Leute waren, fürchteten aber, dass die Deutschen vielleicht unsere Uniformen angezogen hatten, um uns hereinzulegen. Man konnte nicht sofort sehen, wessen Panzer da ankamen. Nach ein paar Minuten meldete mir der Aufklärer, dass er schon 14 Panzer sah. Dann erkannte er auf dem Spitzenfahrzeug eine rote Flagge, und da begriffen wir, dass da unsere Panzer kamen, keine deutschen. Als Erkennungszeichen für unsere anrückenden Verbände hissten wir rote Flaggen auf der Unbenannten Höhe, den Wasserhochbehältern und den Waggons. Zu dem Zeitpunkt waren alle angespannt. Ein historischer Moment rückte näher – das Treffen zweier Fronten.
Um elf Uhr mittags meldete Hauptmann Kotow, Kommandeur des 2. Bataillons, dass seine Soldaten das Spitzenfahrzeug erreicht hätten. Die Soldaten begrüßten sich, küssten einander, vergaßen für einen Moment den Krieg. Es schien, als gäbe es keinen Krieg. Ich fragte nach, wessen Einheiten das seien. Hauptmann Kotow teilte mit, das Spitzenfahrzeug sei von Oberstleutnant Neschinski. Der schickte daraufhin seinen Major zu unseren Regimentskommandeuren. Die Begegnung fand an der Fahnenstange auf der Unbenannten Höhe statt. Am Westhang des Mamajew-Hügels fand ebenfalls ein Treffen statt. Dort wurde eine kurze Kundgebung abgehalten, und Oberstleutnant Tkatschenko, der Chef der Politabteilung unserer Division, empfing die Ankömmlinge offiziell. Diese Situation ist in der »Prawda« beschrieben.
Als diese Begegnung zweier Fronten stattfand, der 62. Armee und der Don-Front, war der Kessel mit dem Gegner in zwei Teile zerschlagen. Von dem Zeitpunkt an gab es zwei Gruppen im Kessel: die südliche Gruppe des Gegners im Stadtzentrum und der nördliche Teil, wo das Zentrum der umzingelten Gruppe die Fabrik »Barrikaden« war. Der Kommandeur der Don-Front hatte offenbar beschlossen, die Gruppierungen nacheinander zu liquidieren, zunächst die südliche in der Stadt, die stärkere, wo sich Gerüchten zufolge Paulus befinden sollte (wir irrten uns da auch nicht). […]
Am 28. Januar beendeten wir die Operation, und unser Regiment ging auf Befehl des Divisionskommandeurs an den Nordhang der Langen Schlucht in der Gegend der Rjaschskaja- und der Artillerie-Straße, um die Verteidigung in der Langen Schlucht zu zerschlagen und an der Bahnlinie entlang zum Stadtzentrum vorzurücken.
Den ganzen 28. plagten wir uns ab, verloren viele Männer und nahmen keinen Meter von den Deutschen ein. Wir rannten gegen ihre alte bewährte Verteidigungsstellung an. Die Lange Schlucht war mit einer Menge Feuernester und Erde-Holz-Bunker befestigt, die Hänge waren vermint und mit Stacheldraht gesichert, und wir konnten sie nicht einnehmen. […] Der Divisionskommandeur befahl, die Aufgabe zu erledigen, koste es, was es wolle, und wir hatten nur noch wenige Männer. […] Die Männer waren völlig erschöpft. Die einen schliefen, die anderen hielten Wache an den MGs und anderen Waffen. Die Bataillonskommandeure schliefen auch. […] Ich kümmerte mich persönlich darum, dass die Männer gut zu essen und zu trinken bekamen. Die ganze Nacht bereiteten wir alles sorgfältig vor. Ustjuschanin und ich führten uns vor Augen, wie stark die Verteidigung der Deutschen war, dass sie also durch bloße Kraft nicht zu bezwingen waren, und wir setzten auf die schwache Moral der Deutschen. Man musste das Ganze vom Organisatorischen her anpacken, musste den Angriff möglichst intensiv gemeinsam vorbereiten und so dem Gegner rasch einen Schlag versetzen, ihn demoralisieren und gefangen nehmen. Zu dem Zeitpunkt setzten auch die anderen Regimenter auf diese Karte.
Im Gefechtsstand handelte ich, da ich vom Regimentskommandeur geschickt worden war, in seinem Namen und schilderte detailliert die Aufgabe, die man uns gestellt hatte, aber nicht in Form eines Befehls: Die Bataillonskommandeure trafen gemeinsam die Entscheidungen. […] Die Aufklärer rückten weit vor und stießen zufällig auf den Gefechtsstand eines deutschen Bataillonskommandeurs. Der und sein Adjutant saßen dort, die anderen Deutschen waren in den Unterständen an der vordersten Linie. Sobald der Adjutant des deutschen Bataillonskommandeurs rauskam und um sich schoss, warfen unsere Jungs Granaten. Danach kam der Kommandeur selbst raus und hob die Hände. Ein solider Kommandeur war das, gepflegt, mit einem steifen Pelzmantel. Ich muss sagen, dass ich nur diesen einen
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