Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)
Deutschen im Pelz gesehen habe.
In dem Moment überschritten die Sturmtrupps die Verteidigungslinie, näherten sich den Deutschen von der Flanke her und deckten sie mit Handgranaten ein. Das stiftete Verwirrung. Vereinzelt begannen welche überzulaufen. Als wir erfuhren, dass wir den deutschen Bataillonskommandeur gefangen genommen hatten, gaben wir durch den Aufklärer den Befehl, ihn an eine hoch gelegene Stelle zu schaffen, gaben ihm ein Laken und befahlen ihm, seinen Leuten zu signalisieren, sie sollten sich ergeben. Es dämmerte. Der deutsche Bataillonskommandeur winkte seinen Soldaten mit dem Laken, sie sollten sich ergeben. Die deutschen Soldaten hoben die Hände und gaben sich zu Dutzenden gefangen. Die Aufklärer und Kommandeure entwaffneten sie und legten die Waffen auf einen Haufen. Zuerst kamen etwa sechzig, dann noch einmal mehr als hundert Mann.
Das 1043. und das 1045. Regiment kamen gerade rechtzeitig dazu, und wir teilten die Gefangenen auf. An dem Morgen machte unser Regiment 172 Gefangene. Das war die größte Anzahl Gefangener, die das Regiment bis zu dem Tag gemacht hatte. Später machte es noch mehr. Ich nahm die Gefangenen in Empfang, sie wurden entwaffnet. Unsere Leute machten sich ein bisschen lustig über die Deutschen. Die hatten sich in alle möglichen Sachen gehüllt. Der eine Deutsche hatte um jeden Fuß eine Bettdecke, andere hatten sich wie die Vogelscheuchen in Laken vermummt. Wir ließen die Gefangenen antreten und brachten sie zum Gefechtsstand des Regiments. Ich machte dem Divisionskommandeur Meldung, und man gratulierte uns zu dem Erfolg. Als wir am Gefechtsstand des Oberbefehlshabers der Armee, Tschuikow, vorbeigingen, gab ich auch ihm einen Bericht.
Da kam ein Kameramann und sagte, wir sollten das Steilufer hochkommen. Der Kameramann wählte den besten Platz für eine Aufnahme mit Stalingrad im Hintergrund aus, und wir ließen die Gefangenen mit dem Bataillonskommandeur im steifen Pelz die rutschige Uferböschung runterlaufen. Ich ging derweil daher und schwang eine Knute. Das war ein interessanter Tag in der Geschichte unseres Regiments.
Kriegsgefangene in Stalingrad (1943). Fotografin: Natalja Bode
Die Lange Schlucht hatten wir durchschritten, und da es keine kontinuierliche Verteidigung vonseiten des Feindes mehr gab, konnten wir ins Stadtzentrum vorrücken.
Am 30. Januar baute unsere Division ihren Erfolg weiter aus und rückte bis zum Platz des 9. Januar vor. Die Deutschen leisteten noch Widerstand. Bisher war es kein einziges Mal so gewesen, dass die Deutschen sich in Regimentsstärke ergeben hatten. Sie waren zerschlagen, aber gemeinsam ergaben sie sich vorerst noch nicht. In der nördlichen Gruppierung der Deutschen erweiterte sich der Kessel an dem Tag sogar, und es bestand eine gewisse Gefahr. […]
Im zentralen Hotel hatten die Deutschen eine Rundumverteidigung aufgebaut. Überall an den Ausgängen standen deutsche Offiziere. Es kam vor, dass im ersten Stock eine weiße Fahne rausgehängt wurde zum Zeichen der Kapitulation, und wenn man dorthin ging, um die Gefangenen entgegenzunehmen, wurde man von anderen Stockwerken aus beschossen. Ein Pole, der zu uns in Gefangenschaft überlief, ging danach bestimmt zehnmal als Parlamentär hin und her und brachte jeweils 15 bis 20 Deutsche auf einmal mit. Er war ein guter Agitator und wählte gerne deutsche Offiziere und Scharfschützen fürs Erschießen aus.
Am 30. gegen Abend fragte der Divisionskommandeur an, was mit dem Offiziershaus gemacht werden solle: stehen lassen oder zerstören. Das Funktelegramm war etwa folgenden Inhalts: »Anfrage an den Oberbefehlshaber, wie mit der Garnison im zentralen Hotel zu verfahren: umgehen oder zerstören.« Der Oberbefehlshaber der Armee befahl durch mich, die Garnison zu zerstören. Tatsächlich kam es dann so, dass wir einen Teil der Leute daließen, die Division aber vorrückte, um ihre Aufgabe zu erfüllen und das Stadtzentrum und den Bahnhof einzunehmen. Am 31. um 14 Uhr erreichte die Division den Stalingrader Bahnhof. Sie nahm den Bahnhof ein und begegnete der 62. Armee, die von Süden aus zum Stadtzentrum vorgedrungen war. Man kann sagen, dass es mit dem Kessel der südlichen Gruppierung der Deutschen am 31. um 14 Uhr vorbei war, das Offiziershaus sich aber noch hielt.
Dem Oberbefehlshaber wurde noch einmal von den Schwierigkeiten gemeldet, das Offiziershaus zu stürmen. Der Oberbefehlshaber ordnete an, das Haus unverzüglich einzunehmen, und schickte fünf Panzer.
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