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Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)

Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)

Titel: Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Hellbeck
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Anspannung erholt, beginne ich zu begreifen, was die Stalingrader eigentlich geschafft haben.«
    Ein paar Worte zu den Gefangenen. Die Gefangenen waren demoralisiert. Anfangs befragten wir sie noch einzeln, aber dann interessierten sie uns nicht mehr. Die Gefangenen sagten schon selber: »Hitler kaputt«, worauf ein Soldat meinte: »Es ist nicht mehr November [1942], jetzt seid ihr schon selber massenhaft kaputt.«
    Eines Tages wurden die Deutschen gefilzt. Da standen 70 Mann. Ich sprach über den Dolmetscher mit ihnen. Der Regimentskommandeur kam und fragte, worüber ich mit ihnen rede. Ich sagte, ich würde sie fragen, ob sie die Wolga gesehen hätten. Es stellte sich heraus, dass die Mehrheit die Wolga noch nicht gesehen hatte. Da wandte sich der Regimentskommandeur über den Dolmetscher an sie und sagte, heute würden sie endlich die Wolga überqueren. Und tatsächlich, eine halbe Stunde später zog sich eine lange Reihe von Gefangenen über die Wolga. […]
    Wir blieben bis zum 6. März in Stalingrad. Nach Beendigung der Kämpfe ruhten wir uns etwas aus, dann ging es ans Lernen. Die Aufgabe lautete, an Ort und Stelle das System der deutschen Verteidigung zu studieren. Material wurde direkt im Gelände gesammelt. Die Kommandeure liefen selber durch die Unterstände, Schützengräben und Feuernester des Gegners, kletterten überall herum, analysierten, welche Mängel es bei uns gegeben hatte, und zogen Schlüsse, um die Kampferfahrung zu analysieren und in Zukunft nutzen zu können.
    Alle Materialien wurden von den Stäben gesammelt und ausgewertet. Die Stäbe arbeiteten besonders angespannt. Ich machte dem Regimentskommandeur Meldung über mein Material, die Regimentskommandeure machten dem Divisionskommandeur Meldung, der Divisionskommandeur lud sämtliche Kommandeure der Division ein, einschließlich der Bataillonskommandeure, und führte eine detaillierte Auswertung des Materials durch. Der ganze Armeeklub hing voller Schaubilder und Karten der Regimenter und der Division. Einen sehr interessanten Vortrag über die Kampfkraft der Division hielt der Divisionskommandeur selbst. […]
    Zum ersten Mal nach 156 Tagen überquerte ich die Wolga am 25. Februar. Ich ging mit den Kommandeuren voran. Als wir uns dem Dorf Krasnaja Sloboda näherten, war das Erste, was uns auffiel, ein ganzes Haus mit ganzen Fenstern. Aus dem Schornstein des Häuschens stieg Rauch auf. Wir waren so gewöhnt an Ruinen, und sie kamen uns so normal vor, dass ein unbeschädigtes Haus etwas Ungewöhnliches für uns war und unsere Aufmerksamkeit erregte. Wir blieben sogar stehen und betrachteten das heil gebliebene Haus. […]

Rotarmisten im zerstörten Stalingrad, Februar 1943
    Für Stalingrad sind viele Männer mit Orden und Medaillen ausgezeichnet worden. Einige wurden posthum ausgezeichnet. In unserem Regiment erhielten drei Bataillonskommandeure als Erste der Division den Alexander-Newski-Orden für den Kampf mit überlegenen Kräften des Gegners und für Beweglichkeit und Taktik. Den Alexander-Newski-Orden erhielten Hauptmann Kotow, Hauptmann Nikitejew und Hauptmann Ponomarew.
    Der 10. Februar war ein bedeutungsvoller Tag für unsere Division. An diesem Tag erging der Befehl der Regierung, unsere 284. Division mit dem Rotbannerorden auszuzeichnen. Wir feierten diesen Tag gebührend.
    Der 2. März war ebenfalls ein bedeutungsvoller Tag, weil wir erfuhren, dass Oberst Batjuk der Rang eines Generalmajors verliehen worden war.
    Und der bedeutungsvollste Tag in der Geschichte unserer Division war der 5. März, als wir im Radio hörten, dass unsere Division zur 79. Gardedivision ernannt worden war. […]
    Ich hatte die Gelegenheit, am 24. Februar, als ich den Orden des Roten Sterns verliehen bekam, im Auto nach Stalingrad zu fahren und alles, was ich für wichtig hielt, zu fotografieren. Zu dem Zeitpunkt wurden gerade die Leichen der getöteten Deutschen weggeschafft. Im Stadtzentrum traf ich einen Mann in Zivil und fragte ihn, wer er sei. Er sagte, er sei Leiter der Militärabteilung des Stalingrader Parteikomitees und organisiere das Einsammeln der Leichen. Ich fragte, wie viele es seien. Er stellte sich heraus, dass sie an dem Tag in der Stadt 8700 deutsche Leichen eingesammelt hatten. Ich machte einige Fotos zur Auswahl. Da waren Berge deutscher Leichen aufgehäuft, zu 200, 300, sogar 600 Mann. Nichts fiel in Stalingrad so sehr auf wie diese Leichenberge, diese Tausende Fahrzeuge mit Leichen. Ich fotografierte auch die

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