Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)
Häuserruinen, die Lazarette, in denen noch verwundete Deutsche lagen. Ich schaute in dem deutschen Lazarett im Stadttheater herein. Dort lagen Tote, Verwundete und Kranke durcheinander. Es stank entsetzlich. Man musste an sich halten, den Verwundeten nicht den Gnadenschuss zu geben.
Als wir Stalingrad am 6. März verließen, kamen wir durch den früheren Einkesselungsring. Auf Dutzenden von Kilometern lagen dort Fahrzeuge, Panzer, Waffen jedes Kalibers, Granatwerfer und vor allem viele Leichen. Das Schlachtfeld wirkte wie ein unübersehbarer Friedhof ohne Gräber. Wir konnten uns einmal mehr davon überzeugen, wie gigantisch die Schlacht um Stalingrad gewesen war.
Nach der Schlacht. Fotograf: Sergei Strunnikow
Es kam vor, dass man auf freiem Feld ein Dorf sah und dachte, dort könne man eine Rast einlegen. Wenn man näher kam, wurde deutlich, dass das Fahrzeuge waren, die auf einem Haufen lagen und den Eindruck einer Siedlung erweckten. Es gab hier also auch Technikfriedhöfe.
Am 7. März hielten wir eine Kundgebung auf dem Feld ab, als wir erfuhren, dass Genosse Stalin in den Rang eines Marschalls der Sowjetunion erhoben worden war. Das Ereignis erfreute alle sehr. Wir hatten schon früher darüber gesprochen, wie gut es wäre, den Genossen Stalin in Uniform zu sehen.
Alle Dokumente und Befehle Stalins machten großen Eindruck auf uns. Auch in der schwersten Zeit wussten wir, dass man uns nicht im Stich ließ. Ich weiß noch, wie ich im Oktober, im schlimmsten Monat für uns, mit meiner Ordonnanz Korostylew nachts unterwegs war und wir in einem Trichter darauf warten mussten, dass das Schießen aufhört. Ich fragte ihn im Scherz: »Halten wir uns in Stalingrad oder nicht?« Er sagte: »Ich meine, dass Stalin sich nicht irrt.« Er sagte das ganz schlicht, aber im tiefen Glauben daran, dass Stalin viel an uns Stalingrader dachte.
Stalins Fürsorge für uns spürten wir besonders stark, als wir die Nachricht erhielten, dass die Medaille »Für die Verteidigung Stalingrads« [646] eingeführt worden war und drei Städte den Rang einer Heldenstadt erhalten hatten. [647]
Auf einen von Stalins Befehlen (ich glaube, vom November) reagierte unser Regimentsschreiber so: »Nichts bringt so viel Ordnung in meine Gedanken wie dieser Befehl.« Auf diese Weise haben die Befehle des Genossen Stalin Taten wie Gedanken der Menschen in Ordnung gebracht. Wir spürten die ganze Zeit die Fürsorge und die Weisheit des Genossen Stalin.
In Stalingrad wurde ich Parteimitglied. In Stalingrad wurde ich auch Hauptmann und Ordensträger.
[Unterschrift:] N. Axjonow, 20. 5. 43.
[Handschriftlich hinzugefügt:] Stenogramm gelesen.
Major Axjonow 5. 3. 46.
Quelle: NA IRI RAN, f. 2, razd. III, op. 5, d. 4, l. 3–16 ob.
Aus dem Russischen von Christiane Körner
Ein einfacher Rotarmist: Alexander Parchomenko
Am 28. Februar 1943 interviewte Esfira Genkina, assistiert von der Stenographin Olga Rosljakowa, eine Reihe von Kommandeuren und Soldaten der 38. Schützenbrigade (mot), die am 31. Januar Feldmarschall Paulus und seinen Stab festgenommen hatten. Gemeinsam begaben sie sich zum Ort des Geschehens, dem Stalingrader Kaufhaus, wo sich die Historiker den Hergang ausführlich schildern ließen. (s. S.273ff.) Im Kaufhaus stieß Genkina auf den Rotarmisten Alexander Parchomenko, der dort seit Anfang Februar zusammen mit anderen Soldaten seiner Kompanie Quartier bezogen hatte. Parchomenko hatte bei der Festnahme von Paulus keine Rolle gespielt. Das Gespräch mit ihm scheint zufällig entstanden zu sein; es fällt aus dem Rahmen vieler anderer Interviews, die in gezielter Absicht mit hoch ausgezeichneten Soldaten oder wichtigen Funktionsträgern geführt wurden. Zugleich bietet dieses Interview eine gute Vorstellung davon, wie ein einfacher Rotarmist über sich im Krieg sprach und dachte.
Parchomenko redet schlicht und unvermittelt. Er misst das Schlachtgeschehen mit einem persönlichen Radius, im Gegensatz zu den Generälen und Stabsoffizieren, die panoramisch und ausschweifend erzählen. Anders als Wassili Saizew präsentiert Parchomenko keine Heldengeschichte. Ganz im Gegenteil bekennt er, dass andere mutig waren, er jedoch nicht. Seine Schilderungen der von ihm in Kampfhandlungen durchstandenen Angst sind aufschlussreich. So verortet er seine Angst in der Frühphase der Schlacht um Stalingrad und gibt damit zu erkennen, dass sie der Vergangenheit angehört. Es war für ihn statthaft, von vergangenen Schwächen
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