Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)
Offizier Lerenman auch Jude war.
Protokoll
des politischen Verhörs des Kriegsgefangenen Max Hütler, Oberleutnant,
Dubowka, 6. Februar 1943
Das Verhör führten Major Koltynin, Chef der 7. Abteilung der Politabteilung der 66. Armee und Techniker-Intendant 2. Ranges Gersch, Dolmetscher der 99. Schützendivision
Max Hütler , Oberleutnant. Adjutant 544. I. R. 389. I. D. Deutscher. 34 Jahre. Gebürtiger Westfale. Verheiratet. Mitglied der Nationalsozialistischen Partei. Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forstwirtschaft, Assistent an der Universität Göttingen. Reserveoffizier. Heimatadresse: Göttingen Universität [740] . Feldpostnr. –
Der Gefangene sagte aus: »Vom Beginn der Stalingrader Operation an war mir, und nicht nur mir, sondern fast allen Offizieren klar, dass unser Oberkommando ein großes Risiko eingeht, wenn es so einen riesigen Keil einschlägt. Es war offensichtlich, dass die Russen versuchen würden, den Keil abzuschneiden, die an seiner Spitze befindlichen Truppen zu umfassen und ins Hinterland der Truppen der Kaukasusgruppe einzudringen. Aber wir dachten, das Kommando weiß besser, was es tut. Wir dachten, es habe ausreichend Reserven und könne die Keilflanken sichern. Ich begreife bis heute nicht, warum keine Truppen an die Flanken herangeführt worden sind. Es gibt Reserven, und zwar große. Kurzum, das ist für mich eine rätselhafte Geschichte. Als Ihre Armeen Ende November 1942 unsere Verteidigung durchbrachen, entstand Panik, wer sie verbreitete, wusste man nicht. Es waren weniger die Soldaten, die den Kopf verloren, sondern vielmehr die Kommandeure, besonders die Kommandeure der großen Verbände.
Etwa zu Weihnachten hatte sich die ganze Hoffnungslosigkeit unserer Lage herausgestellt. Es gab keine Hilfe und würde keine geben. Das sah jeder von uns ein, fürchtete sich aber, es zuzugeben. Wir wussten, dass wir zum Untergang verurteilt waren. Dennoch dachten die meisten von uns nicht daran, sich in Gefangenschaft zu begeben. Wir hatten den Auftrag bekommen, möglichst große Kräfte zu binden, die im gegenteiligen Fall in die Räume Kaukasus und Rostow geworfen worden wären. Das sagten wir den Soldaten. Sie wussten um ihr Schicksal, und nun haben nur kleinste Gefechtseinheiten, wie Sie sehen, die Waffen gestreckt und sich ohne den entsprechenden Befehl in Gefangenschaft begeben. Der Hauptmasse der Soldaten sind Pflichtgefühl und Opferbereitschaft fest eingeimpft. Sie hält eisern zusammen. Diese kleinen Einheiten machen uns keine Angst. Sie stellen für uns keinerlei Gefahr dar.
Sie sagen, jeder Soldat sei doch ein Mensch und als solchem sei ihm sein Leben lieb, er hege den Gedanken, in die Heimat zurückzukehren, in die eigene Familie, zu Frau und Kindern. Ja, das stimmt. Und dennoch steht die Heimat über allem. Für sie wird sich jeder von uns opfern. Alle unsere Soldaten sind so gedrillt. Als wir im Kessel waren, wusste jeder, dass ihm nur blieb, seine Pflicht zu erfüllen, und er erfüllte sie.
In den zwei Monaten der Einschließung kam kein einziger Sonderbefehl über Disziplin oder Verstärkung der Kontrolle über die gemeinen Soldaten heraus. Ich weiß nur, dass – ich erinnere mich nicht genau, am 27. 1. 43 oder am 28. 1. 43 – General Strecker einen Befehl mit folgendem Inhalt erteilte: 1. Auf jeden, der sich von seiner Einheit entfernt und der Verfügungsgewalt des Feindes übergibt, wird unverzüglich das Feuer eröffnet; 2. Jeder, der sich vom Flugzeug abgeworfene Lebensmittel aneignet, wird unverzüglich vor das Kriegsgericht gestellt; 3. Jeder, der Ungehorsam zeigt oder sich weigert, die Befehle der Kommandeure zu erfüllen, wird vor das Kriegsgericht gestellt.
Warum haben wir uns trotzdem ergeben? Erstens, der Hauptteil der Truppen mit Generalfeldmarschall Paulus an der Spitze hat sich am 30. 1. 43 [sic] ergeben, es wäre unvernünftig gewesen, den Widerstand fortzusetzen. Unsere Gruppe hätte zu wenige russische Kräfte auf sich lenken können, unsere Opfer wären nicht mehr gerechtfertigt gewesen. Wir erfüllten unseren Auftrag, solange wir dazu in der Lage waren, und wenn wir Ihre Armeen noch zwei oder drei Wochen hätten binden können, dann hätten wir die Waffen nicht gestreckt, sondern weitergekämpft. Zweitens, wir hatten zu viele Verwundete, sie hinderten uns daran, zu kämpfen. Jedes zweite Haus war mit ihnen überbelegt, weiterer Widerstand hätte bedeutet, dass die Verwundeten durch Artilleriefeuer vernichtet worden
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