Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)
wären.
Wie ich die jetzige Kriegslage Deutschlands einschätze? Deutschland macht eine sehr bittere und schwere Krise durch, aber es ist keine Niederlage. Das Land kann noch etwa zwei Millionen Soldaten in die Armee einberufen. Im Übrigen, wenn Ihre Offensive im selben Tempo noch zwei Monate weitergeht, dann kann sich die Krise zur Niederlage auswachsen.«
Im Übrigen erklärte der Gefangene, eins der Anzeichen, nach dem man urteilen könne, wer siegen werde, sei der Eintritt der Türkei in den Krieg. Sie werde auf der Siegerseite eintreten, und zwar dann, wenn es keinen Zweifel mehr über den Ausgang des Krieges gebe. [741]
»Bevor ich zur Armee kam, war ich Nationalsozialist, jetzt bin ich Soldat. Wir haben in der Armee keine Nationalsozialisten – alle sind Soldaten.
Von April bis Oktober 1942 war ich Kompaniechef. Was Sie über Gräueltaten an russischen Kriegsgefangenen sagen, höre ich zum ersten Mal. [742] Weder in der Kompanie noch im Regiment hatten wir solche Fälle. Ausnahmen sind zwar möglich, aber eben Ausnahmen. Das ist per Befehl verboten. Das Gleiche gilt für die örtliche Bevölkerung. Es gibt Sonderbefehle, denen zufolge Soldaten für Gewalt an der örtlichen Bevölkerung mit Arrest bestraft werden. Es ist auch verboten, den Einwohnern Wertsachen und überhaupt irgendwelche Dinge wegzunehmen. Nur etwas Essbares wegzunehmen wird manchmal erlaubt. Die Pakete mit Schuhen, Kleidern usw., die manche von uns nach Deutschland geschickt haben, wurden aus den Sachen gepackt, die in zerstörten oder verlassenen Häusern gefunden worden waren.
Die russischen Soldaten sind keine schlechten Soldaten. Bei der Verteidigung sind sie wesentlich besser als beim Angriff. Aber auch hier, wo sie sich in kleinen Gruppen verteidigen, handeln sie erfolgreicher als in der großen Masse. Ihre Scharfschützen sind gut.«
Chef der 7. Abteilung der Politabteilung der 66. Armee
Major Koltynin
Dolmetscher der 99. Schützendivision und Techniker-Intendant 2. Ranges Gersch
Protokoll
des politischen Verhörs des Kriegsgefangenen Helmut Pist, Unteroffizier des 21. Panzergrenadierregiments der 24. Panzerdivision
Dubowka, 9. Februar 1943
Das Verhör führte Hauptmann Sajontschkowski, Oberinstrukteur der 7. Abteilung der Politabteilung.
Pist, Helmut. Geboren am 11. Januar 1916 in Schwarzenau (Posen). Absolvierte das Realgymnasium. Beruf: Agronom. Protestant. Deutscher. Mitglied der Hitlerjugend. 1937 zur Armee eingezogen. Heimatadresse: Krefeld am Rhein, Prinz-Friedrich-Karl-Str. 139.
Helmut Pist sagte auf die Frage nach der Lage seiner Einheit in den letzten Tagen im Kessel Folgendes aus: »In den ersten Januartagen existierten die Regimenter in unserer Division nicht mehr als solche, es wurden einzelne Gruppen gebildet, die die Namen der Offiziere trugen, von denen sie befehligt wurden. Zum Beispiel wurde aus dem 21. und 26. Regiment eine Gruppe gebildet, die Oberst Brendahl befehligte. Außerdem wurden sogenannte Alarmgruppen gebildet. Diese Gruppen waren unterschiedlich stark, zum Beispiel bestand die Gruppe, der ich angehörte, aus 50 Mann, wurde von Oberleutnant Hermanns befehligt, lag bei Orlowka. Die Stimmung der Soldaten war schlecht, viele schimpften auf die Regierung und warfen ihr vor, sie habe sie einfach dem Schicksal überlassen. Mit der Versorgung wurde es von Tag zu Tag schlechter. Beispielsweise wurden seit dem 20. Januar 50 g Brot am Tag ausgegeben. Trotz der strengen Befehle und der angedrohten Erschießungen wurde der Proviant, der von den Flugzeugen abgeworfen und geborgen wurde (Versorgungsbombe), von denen versteckt, die ihn gefunden hatten. So war die Verpflegung der Truppen bei weitem nicht gleichmäßig. Die Disziplin ließ mit jedem Tag nach, immer häufiger kam es unter den Soldaten zu Gesprächen über Kapitulation. Um den 25. Januar sagte uns Leutnant Koars aus dem Divisionsstab, dass General von Lenski, der Kommandeur unserer Division, einen Befehl erteilt habe, der allen Truppenkommandeuren Handlungsfreiheit gewähre, also erlaube, zu kapitulieren. Einen Tag später wurde dieser Befehl jedoch aufgehoben.
Wenn Ihre Flugblätter vor der Einschließung bei unseren Soldaten keinen Erfolg hatten, dann verhielt es sich im Kessel anders, besonders im Januar lasen die Soldaten begierig Ihre Flugblätter. Wir suchten buchstäblich nach den Flugblättern mit der Karte, auf der die Lage an der Front eingezeichnet war, die Sie von den Flugzeugen abwarfen.
Die letzten Tage
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