Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)
fort. Er bat um zwei Wagen, ich stellte zwei Benthams dafür ab. Er kam in mein Auto, seine Offiziere kamen in den Lastwagen. Wir waren die ganze Zeit höflich.
Im Wesentlichen endeten die Kampfhandlungen um neun Uhr, durch Paulus’ Gefangennahme endete der Krieg im südlichen Teil Stalingrads vollständig. Die Leute gingen in Gefangenschaft, die Pilgerschaft begann. Vertreter der lokalen Staatsorgane trafen ein. Waffen gab es in Massen. Die Soldaten bewaffneten sich. Abends stellte ich fest, dass es keinen Soldaten gab, der nicht zwei oder gar drei Revolver trug. Viele [Deutsche] warfen selber ihre Waffen hin und gingen ohne Waffen auf den Platz.
Roske bat darum, sich von seinen Offizieren verabschieden zu dürfen. Es wurde ihm gestattet. Ich ließ eine Gruppe Offiziere antreten.
Übrigens war hier auch der [von den Deutschen eingesetzte] Stadtkommandant, ein Russe. Er saß ebenfalls hier im Keller. Roskes Dolmetscher sagte, hier seien so und so viele Offiziere, darunter auch der Stadtkommandant, außerdem seien acht Frauen im Keller. Eine von ihnen weinte und bat um die Möglichkeit, sich von dem Kommandanten zu verabschieden. Man kam damit zu mir.
»Genosse Oberst, ein Luder bittet darum, sich vom Stadtkommandanten verabschieden zu dürfen.«
»Unsere?«, fragte ich.
»Nein, sie ist nicht von uns, aber Russin. Heult noch, das Luder.«
Ich war unglaublich wütend. Die Übrigen saßen teils bei der Sonderabteilung, teils beim NKWD.
Roske ist meiner Meinung nach 46 oder 47. Paulus ist älter. Roske hat fünf Kinder. Wie Paulus so ist? Er machte auf mich den Eindruck eines in die Enge getriebenen Tieres. Man sah, dass ihm das alles gar nicht gefiel. Hager, unrasiert, nachlässig gekleidet. Er gefiel mir nicht. In seinem Zimmer war es schmutzig. Bei Roske war es mehr oder weniger sauber. Da saß natürlich Stabschef Schmidt.
Als Paulus herauskam, bat er darum, dass man ihn durch den Hinterausgang begleitete, durchs Tor. Er fuhr weg, blickte sich um, lächelte kläglich, albern. Man sah, dass er verstört war, so blickte er sich um.
Wie viel Dreck hier im Keller war, auch in Paulus’ Raum! Im Hof war es einfach grässlich. Wir brachten ihn nun in Ordnung.
Ich machte Roske Vorwürfe, weil ein so hochgestellter Stab so viel Dreck gemacht hatte, ich beschämte ihn. Sie fingen an zu reden, dann übersetzte der Dolmetscher. Es war so gewesen, dass unsere Katjuschas und die Artillerie sie tagsüber nicht rausließen. Sie waren gezwungen, ihre natürlichen Bedürfnisse im Keller zu verrichten. Die Behälter stellten sie nur nachts raus, und selbst da hatten sie Angst. Er errötete ein wenig. Er war vermutlich ein kultivierter, disziplinierter Offizier.
Major Soldatow: Es war unvorstellbar schmutzig, man konnte da nicht hergehen, weder durch die Hintertür noch durch den Vordereingang, hüfthoch stand da der Schmutz und der menschliche Kot und was nicht noch alles. Es stank unvorstellbar. Es gab zwei Aborte, und an beiden stand: »Für Russen Eintritt verboten.« Ob sie die Aborte benutzten, kann man schlecht sagen, denn alle Flure waren Aborte. Manchmal schossen die Deutschen nicht schlechter als wir, aber wir haben aus Wohnräumen keine Aborte gemacht.
Generalmajor Burmakow (Kommandeur der 38. Schützenbrigade): Als im deutschen Funk gemeldet wurde, dass sie alle Selbstmord begangen hätten, war ich schockiert. Ich rannte her, schaute mich um. Meine Posten standen bei Paulus im Raum, zwei MPi-Schützen und vier von uns. Alles in Ordnung.
Als ich Roskes Gruppe auf den Abtransport vorbereitete, forderte ich sie auf, die Waffen auf den Tisch zu legen. »Sie auch, legen Sie Ihre Waffen hin«, sagte ich zu Roske. Sie waren bis 17 Uhr alle bewaffnet. Sie fingen an, ihre Waffen aus den Koffern zu holen. Sie hätten sich durchaus erschießen können, und Paulus hätte sich nicht nur erschießen, sondern auch in die Luft sprengen können.
Im Gegenteil, Roske befürchtete die ganze Zeit, dass Paulus getötet werden könnte, versicherte die ganze Zeit, er sei vor dem Führer für das Leben des Feldmarschalls verantwortlich, es dürfe bloß kein Fehler unterlaufen. Er bat darum, dass ich meinen Wagen vor seinem herschickte. Gen. Laskin sagte:
»Bleiben Sie ruhig. Paulus wird bei mir im Wagen mitfahren.« Da stand Roske auf und dankte ihm: »Ich danke Ihnen, ich danke Ihnen.«
Von wegen sterben – das waren solche Feiglinge. Die hatten nicht den Mut zu sterben.
Ich hatte mich gerade vorher rasiert. Als man mich
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