Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition)
auf die wahren Schrecken aufmerksam zu machen«, bemerkte Nikolai.
»Ich dachte, es gäbe eine Form der Magie, die von Gruppen erzeugt wird?«, fragte Jean.
»Ja, doch das ist etwas anderes. Die Energie wird von den Menschen selbst erzeugt«, erklärte Falconer. »Jeder hat mindestens einen Hauch Magie in seiner Seele, und wenn man starke Überzeugungen hat, erzeugt die Gruppe eine Art von Geisteshaltung, die die Essenz ihrer Überzeugungen widerspiegelt. Es ist keine bewusste Energie, aber sie hat Macht und neigt von ihrem Wesen her dazu, die, die sich dagegenwenden, anzugreifen. Die Pro-Sklaverei-Kräfte haben eine solche Geisteshaltung erzeugt. Um dem zu begegnen, müssen viele Leute der glühenden Überzeugung sein, dass Sklaverei ein großes Unrecht ist und deswegen beendet werden muss.«
Nikolai runzelte die Stirn. »Das verstehe ich nicht.«
»Ich weiß nicht, ob das überhaupt jemand versteht«, meinte Falconer. »Mich lehrte man das schon vor vielen Jahren, und seitdem habe ich solche Energien agieren sehen, wenn große Gruppen sehr starke Ansichten über ein Thema haben. Manchmal ist der Gemeinschaftsgeist positiv, wie beispielsweise in einer Kirchengruppe. Andere Male ist er negativ und zerstörerisch. Der Kampf zwischen Pro- und Antisklaverei-Gruppen wird auf vielen Ebenen stattfinden. Die sichtbarste ist die politische, da nur ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz den Sklavenhandel beenden kann. Aber auf politischer Ebene werdet ihr mit vielen gegnerischen Einstellungen und Energien zu kämpfen haben. Eure Aufgabe ist, Herzen, Gedanken und Seelen für eure Sache zu gewinnen.«
Nikolai sah Jean an. »Verstehst du, wovon er spricht?«
»Nicht wirklich.« Sie zuckte mit den Schultern. »Vielleicht wird uns das Konzept später klarer werden.«
Falconer lächelte belustigt. »Solltet ihr irgendwann die Prinzipien der Gruppenenergie verstehen, dann erklärt sie mir doch bitte. Ich habe auch nur eine sehr, sehr vage Vorstellung von diesen Dingen.«
So verschwommen die Vorstellung derzeit auch noch war, sagte Nikolais Intuition ihm doch, dass sie in der Zukunft wichtig sein würde. »Adia meinte, die Sklaverei würde ein Ende finden, wenn die breite Masse sich erhebt und ›Genug!‹ schreit. Vielleicht war es das, was sie uns sagen wollte.«
Der Earl nickte gedankenvoll. »Ihre Erklärung ist besser als die meine.«
»Du denkst, der Rat der Wächter würde uns nicht helfen. Aber wirst du uns beistehen, Simon?«
»Selbstverständlich. Und auch noch andere Wächter werden euch zu Hilfe kommen wollen, angefangen bei meiner Meg.« Er erhob sich aus dem Sessel. »Ich glaube, sie ist zu Hause. Ich werde ihr die Situation erklären und sie holen.«
Als er gegangen war, bemerkte Nikolai: »Wir haben einen beeindruckenden Verbündeten gewonnen.«
»Ich wusste, dass Simon auf unserer Seite sein würde, aber ich bin enttäuscht, weil er der Überzeugung ist, das Wächterkonzil würde uns nicht helfen wollen.« Jean stand auf und begann, unruhig auf und ab zu gehen. »Ich habe nicht wirklich gedacht, dass sie uns unterstützen würden, aber irgendwie hoffte ich doch, mich zu irren.«
»In Falconers Position hat er die Möglichkeit, andere zu beeinflussen. Vielleicht gehört es zu unserer Aufgabe, sein Interesse zu wecken. Wie er sagte, muss die Grundlage für die Zukunft heute schon gelegt werden.«
Jean machte ein nachdenkliches Gesicht. »Das ist wahr - die Notizen, die Adia niederschrieb, betreffen hauptsächlich öffentliche Ereignisse, aber Begegnungen hinter den Kulissen wie diese hier sind auch nicht unwichtig.«
Die Gräfin Falconer war eine weitere Überraschung. Nikolai hatte eine Frau erwartet, die auf gleichermaßen einschüchternde Art und Weise aristokratisch wie der Earl war, doch stattdessen war sie dunkelhaarig und zierlich, mit einer Ausstrahlung, als wäre sie nicht von dieser Welt, die ihr warmer Blick allerdings wieder ausglich. Sie und Jean fielen sich in die Arme. »Jean, wie jung du aussiehst! Simon sagt, du hättest viele Abenteuer erlebt.«
Jean lachte, als sie sich aus Megs Armen löste. »Das klingt ja fast, als wärst du neidisch, Meg.«
»Nur ein bisschen.« Die Gräfin wandte sich an Nikolai. »Ihr kümmert Euch um Jean?«
Er verbeugte sich. »Wenn sie es mir erlaubt, Mylady.«
»Jean ist nicht die fügsamste Verbündete.« Lady Falconer ließ sich auf einem Sofa neben dem Feuer nieder und bedeutete den anderen, sich zu ihr zu setzen. »Ich habe Sklaverei immer für ein
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