Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition)
verlangen keine Heuer. Aber es ist schwer, Seemänner zu überreden, gegen die Kapitäne auszusagen, weil sie Angst um ihre Arbeit haben. Der Handel ist fast ebenso verhängnisvoll für sie wie für ihre unglücklichen Opfer.«
»Sie sollten sich nicht schutzlos auf die Straßen hinauswagen«, riet Nikolai. »Nehmen Sie eine Waffe mit, einen Leibwächter oder beides.«
»Mein Freund Falconbridge begleitet mich oft, und er ist ein stämmiger Mann, aber heute war er anderweitig beschäftigt. Er schreibt ein Buch über seine Erfahrungen als Schiffsarzt auf verschiedenen Sklavenfahrten.« Clarkson seufzte und sah mehr wie ein Mann um die dreißig statt wie Anfang zwanzig aus. »Ich will nicht in beständiger Furcht wie ein verängstigtes Kaninchen leben.«
»Niemand will das«, erwiderte Jean sanft. »Aber Ihr Leben ist kostbar, Mr. Clarkson. Sollten Sie von den Händen ignoranter Männer sterben, würde das unsere Sache Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte zurückwerfen.«
»Ich werde daran denken.« Er lächelte wieder ein wenig. »Das Abolitionskomitee will, dass ich nach London zurückkehre. Vielleicht werde ich auf dem Weg noch Manchester besuchen. Ich habe gehört, dass neue Ideen dort sehr willkommen sind.«
»Haben Sie schon daran gedacht, eine Bittschrift zur Unterstützung der Abolition einzureichen?«, schlug Jean vor. »Wenn das Parlament die Unterschriften Tausender Abolitionisten sieht, werden sie begreifen, dass wir eine Kraft sind, die man nicht so einfach ignorieren kann.«
»Das Abolitionskomitee hat schon über die Möglichkeit gesprochen. Vielleicht wäre Manchester der Ort, um zu beginnen.« Seine Augen hellten sich auf. »In den zwei Jahren, seit ich Ihnen begegnet bin, ist so viel geschehen! Ich habe meine Studie übersetzt, und James Phillips hat sie veröffentlicht. Ich danke Ihnen, dass Sie mich zu ihm geschickt haben - seine Vorschläge waren ebenso hilfreich wie seine Druckerpresse. Das Buch hat sich sehr gut verkauft. Eine allmähliche Unzufriedenheit mit der Sklaverei baute sich schon seit Jahren auf, und nun lodert plötzlich die Fackel der Abolition auf. Meine Abhandlung war einer der Funken, die sie entzündeten.«
»Sie sprachen von einem Abolitionskomitee«, sagte Nikolai. »Ist das eine neue Einrichtung?«
Clarkson nickte. »Anfang dieses Jahres trafen sich ein Dutzend von uns in Phillips Druckerei und gründeten ein Abolitionskomitee. Neun waren Quäker, drei von uns Anglikaner.« Er lächelte liebevoll. »Man kann sich keine besseren Verbündeten wünschen als die Quäker. Sie leben und arbeiten für ihren Glauben.«
»Und wie gedenken Sie Ihre Ziele zu erreichen?«, fragte Jean.
»Durch das Gesetz natürlich. Wir müssen das Parlament dazu bewegen, den Sklavenhandel für ungesetzlich zu erklären.« Er glühte förmlich vor Begeisterung, als er sich zu ihnen vorbeugte. »Ich habe einen höchst bemerkenswerten Mann kennengelernt. Sein Name ist William Wilberforce. Er ist nur ein Jahr älter als ich und schon Parlamentsmitglied. Wilberforce ist ein frommer Protestant, für den die Abolitionsbewegung ein moralischer Kreuzzug ist. Es ist noch viel zu tun, doch mit Männern wie Wilberforce im Parlament wird es uns eines Tages sicherlich gelingen.«
Er ließ sich dankend Punsch nachschenken und begann, von den Erkenntnissen seiner Studien und Interviews mit im Sklavenhandel Beschäftigten zu reden. Nikolai konnte nun verstehen, warum die Magie der Vorfahren sie zweimal zu Clarkson geführt hatte. Dieser Mann war ein mächtiger und leidenschaftlicher Verfechter seiner Sache.
Als der Sturm draußen nachließ, begleiteten Nikolai und Jean Clarkson zu seiner Unterkunft. Danach machten sie sich auf die Suche nach einem anständigen Gasthaus für sich selbst. »Ich bin mehr als bereit für ein Nickerchen«, sagte Jean, ein Gähnen unterdrückend. »Durch die Zeit zu reisen und Leben zu retten, ist ganz schön anstrengend.«
Und das war auch die schonungslose dunkle Energie, die Nikolai seit ihrer Ankunft in Liverpool umgab. Ein Schläfchen würde ihm vielleicht guttun. Aber irgendwie bezweifelte er das.
»Das ist interessant.« Jean blickte von der Liverpooler Zeitung auf, die sie gekauft hatte, bevor sie in dem Gasthaus Zimmer mieteten. Sie hatten ein gutes Essen in dem privaten Speisesaal zu sich genommen, und nun lasen sie und Nikolai, bevor sie sich zur Ruhe begaben. Sie befanden sich nur zwei Jahre weiter in der Zukunft - kein Grund also diesmal, sich neue Kleider
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