Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition)
verwandte Seele in dem Mann erkannt, die ebenso verdorben war wie die seine.
Nikolai drang noch tiefer in Kondos Bewusstsein vor, um sich einen Eindruck von der Natur des Mannes zu verschaffen - und wurde plötzlich von einem gewaltigen Energiestoß zurückgeschleudert. So heftig, dass er gefallen wäre, wenn Jean nicht seinen Arm ergriffen hätte.
»Was ist?«, fragte sie erschrocken.
»Ich ... weiß nicht.« Das Sprechen bereitete ihm große Mühe. Ihm war, als ertränke er in flüssigem schwarzen Teer.
Jean zog ihn in eine Gasse und half ihm, sich an eine Häuserwand zu lehnen. Auf dem nahen Marktplatz waren lautstarke Beifallsbekundungen für das neue Parlamentsmitglied zu hören, in der Gasse jedoch herrschte Stille. Die dunkle Energie begann, sich zu verflüchtigen, und hinterließ große Schwäche und Betroffenheit bei Nikolai. »Tust du irgendetwas?«, gelang es ihm zu fragen.
»Ich schirme dich ab«, erwiderte Jean. »Schutzschilde zu errichten und abzuschirmen, sind die Dinge, die ich am besten kann. Sie haben uns nach Culloden gerettet.« Mit sanftem Druck legte sie die gespreizten Finger ihrer rechten Hand auf die Mitte seiner Brust, und die Dunkelheit verflüchtigte sich noch weiter.
»Du verstehst deine Magie schon viel besser zu nutzen«, sagte Nikolai.
»In Notfällen war ich schon immer gut, und du, Captain Gregorio, bist zurzeit ein Notfall«, erwiderte sie mit einem etwas schiefen Lächeln. »Bist du stark genug, um laufen zu können?«
Er sammelte seine Kräfte und versuchte, sich einen Schritt von der Mauer zu entfernen. Sein Herz hämmerte jedoch wie verrückt, und er stürzte beinahe erneut. Jean schob ihn wieder an die Wand, wo er einen tiefen, unsicheren Atemzug tat. »Offensichtlich nicht.«
»Was auch immer dich getroffen hat, muss dir fast deine gesamte Energie geraubt haben, und es wird dauern, bis sie wiederkehrt. Ich frage mich ...«
Sie unterbrach sich, schlang die Arme um ihn und presste ihren Mund zu einem tiefen, leidenschaftlichen Kuss auf seinen. Es war - wie lange? Dreißig Jahre? - her, seit sie einander so geküsst hatten, und Nikolai gab sich, ohne zu zögern, der Leidenschaft hin, die sie bisher so eisern unter Kontrolle gehalten hatten. Jeans schlanker Körper presste sich an seinen, und er war sich nur allzu deutlich ihrer unter Korsetts und Unterröcken verborgenen verführerischen Weiblichkeit bewusst.
»Jean ...«, flüsterte er und ließ seine Hände an ihr hinuntergleiten, um ihren wohlgerundeten Po zu umfassen. »Warum haben wir gewartet?«
Errötend und lachend entzog sie sich seiner Umarmung. »Darüber können wir später sprechen. Lass uns zu unserem Gasthaus zurückkehren, sowie du dich wieder in der Lage dazu fühlst.«
Seine Kraft war mittlerweile fast vollständig zurückgekehrt, bemerkte er. Er fühlte sich, als hätte er sich gerade von einem Krankenbett erhoben - müde, aber völlig wiederhergestellt. »Ich will mir noch einmal Trent und Kondo ansehen, bevor wir gehen.«
»Das wäre ausgesprochen unvernünftig«, erklärte Jean entschieden.
Nikolai erlaubte ihr, seinen Arm zu nehmen und ihn von dem Marktplatz wegzuführen. »Was ist auf diesem Platz geschehen? Ich habe so etwas noch nie erlebt, nicht einmal während meiner Initiation.«
»Ich habe eine Theorie, was es gewesen sein könnte. Aber auch das können wir später besprechen.« Sie schob ihren Arm noch fester unter seinen, um ihm Kraft zu übermitteln. »Liverpool beginnt sich als sehr interessant herauszustellen.«
31. Kapitel
Z
um Glück war es nur eine knappe Meile bis zu ihrem Gasthaus. Bevor sie zu ihren Zimmern hinaufgingen, kaufte Jean dem Wirt noch schnell eine Flasche Brandy ab. Sobald sie hinter verschlossenen Türen waren, gab sie Nikolai den Brandy unverdünnt und vermischte ihren halb mit Wasser.
Ein tüchtiger Schluck Alkohol verschaffte Nikolai wieder einen klaren Kopf. »Erzähl mir von deiner Theorie über die Geschehnisse dort draußen.«
Jean hatte es sich in einem Sessel ihm gegenüber bequem gemacht und drehte nervös ihr Glas zwischen den Händen. »Erinnerst du dich an Lord Falconers Worte, dass leidenschaftliche Überzeugungen eine Art von Geist erzeugen können, der ein Ausdruck der Gemütsbewegungen der Menschen ist?« Als er nickte, fuhr sie fort: »Die Pro-Sklaverei-Energie hängt wie eine giftige Wolke über Liverpool. Du bist dir ihrer ganz besonders intensiv bewusst, vielleicht aufgrund deiner eigenen Erfahrungen mit der Sklaverei. Ich
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