Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition)
hätte auf jeden Fall Herzen von Abolitionisten zum Stillstand bringen können, wenn er sie benutzt hätte, wie es seine ursprüngliche Absicht war.«
Obwohl John Donne gesagt hatte, jedes verlorene Leben sei ein Verlust für alle, vermochte Jean nicht allzu viel Bedauern für Trent aufzubringen. »Was ist aus Kondo geworden?«
»Ich weiß es nicht. Er war am Boden zerstört von seiner Niederlage und meiner Bestätigung seiner Ängste. Ich weiß nicht, ob er lebt oder tot ist.« Für einen Moment sah Nikolai ganz zerstreut aus. »Ich weiß es wirklich nicht. Aber er stellt keine Gefahr mehr dar.«
Jubel brandete unten im Saal auf. Bethany und Mary sprangen auf und fielen sich weinend in die Arme. »Das Gesetz ist durch!«, sagte Mary mit gebrochener Stimme.
»Und zwar mit überwältigender Mehrheit, da immer mehr Männer sich auf die Seite der Gewinner geschlagen haben!«, rief Bethany. »Das Volk von England hat gesprochen, und das Parlament hat zugehört!«
Jean sah Nikolai in die Augen. Ihre lange Reise war zu Ende. Er beugte sich zu ihr vor und küsste sie. »Wir haben es geschafft, meine kleine Hexe«, flüsterte er. »Wir und unzählige andere.«
Sie schlang die Arme um ihn und zitterte vor Freude. Sie hatten gewonnen.
Und was nun?
38. Kapitel
I
n den nächsten Wochen hielt Jean im Geist den Atem an. Sie war freudig überrascht, als selbst die stockkonservativen Mitglieder des Oberhauses für das Gesetz zur Abschaffung der Sklaverei stimmten. Konservativ waren sie noch immer, aber die Zeiten und einige Einstellungen hatten sich geändert.
Schließlich setzte auch König George das Gesetz durch seine Unterschrift in Kraft. »Es ist geschafft!«, jubelte Jean, als Lord Bucklands Mitteilung sie in dem Gasthaus erreichte, in dem sie abgestiegen waren. »Ich hatte schon befürchtet, dass der König niemals unterzeichnen würde. Nicht, wo sein Sohn Clarence doch einer der glühendsten Verfechter der Sklaverei gewesen ist.«
Nikolai grinste in seinem Sessel auf der anderen Seite des Kamins. Er sah sehr distinguiert aus mit seinen silbergrauen Schläfen. »Ich sagte doch, dass wir uns keine Sorgen machen müssen. Es gibt Männer, die mit der Überzeugung ins Grab gehen werden, dass Sklaverei richtig und vernünftig ist, und dazu gehört wahrscheinlich auch die königliche Familie, aber der böse Geist, der durch die Denkweise dieser Menschen erzeugt wurde, ist gebrochen. Kein anständiger Engländer kann die Sklaverei heute noch reinen Gewissens unterstützen. Und trotz all seiner Schwächen ist euer König George ein anständiger Mann, der versucht, das Richtige zu tun.«
»Nun, da der Sklavenhandel am ersten Mai enden wird, ist der nächste Schritt die Befreiung derjenigen, die noch in Knechtschaft leben.«
Nikolai wurde ernst. »Das wird kommen. Nicht so bald, wie wir hoffen mögen, aber es wird kommen. Wie ein Geist, der aus seiner Flasche freigelassen wurde, wird die Freiheit nicht mehr unterdrückt werden. Nicht nur Sklaven werden frei sein, sondern auch arme Männer und Frauen in diesem Land werden Gerechtigkeit und eine bessere Behandlung für sich und ihre Kinder verlangen. Die Welt, wie wir sie kennen, hat sich unwiderruflich und zum Besseren verändert.«
Jean dachte über seine Worte nach. Die Gesellschaft, in der sie aufgewachsen war, war viel rigider als die im Jahre 1807. Nicht so sehr daheim in Schottland, wo ein Pächter sich seinem Lehnsherrn als ebenbürtig betrachtete, aber auf jeden Fall in England. Die gesellschaftlichen Unterschiede waren fest verankert. Da Jean der Oberschicht angehörte und immer ein bequemes Leben geführt hatte, hatte sie ihre Gesellschaft eigentlich nie infrage gestellt, doch das war jetzt nicht länger möglich. »Du magst diese mutige neue Welt, nicht wahr?«
»Oh ja. Lady Bethany sagt, es gäbe immer mehr Befürworter einer Wahlreform, damit mehr Männer das Wahlrecht haben können.«
Jeans Augen glänzten. »Und was ist mit den Frauen? Wann bekommen die das Wahlrecht?«
Nikolai lachte. »Du bist sogar noch radikaler als ich, meine kleine Hexe. Aber ich glaube, dass es mit der Zeit auch dazu kommen wird.«
»Möchtest du hierbleiben?«
Er zögerte. »Obwohl mir dieses Jahr gefällt, war unser ursprünglicher Plan doch, unsere Mission zu vollenden und dann nach Hause zurückzukehren.«
»Ich weiß nicht, ob wir das noch können«, sagte sie düster. »Ich habe Mary Owens gefragt, ob es unter den Londoner Ältesten jemanden gibt, der sich mit
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