Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition)
Sie hatte auch ein bisschen Geld, das sie von Gästen für besondere Dienste erhalten hatte. Es zur Flucht zu benutzen, gefiel ihr sehr.
Adia wählte eine mondlose Nacht für ihren Aufbruch. Mr. Watson war für ein paar Tage in Charleston, was bedeutete, dass sie vermutlich nicht so schnell verfolgt werden würde. Bevor sie ihr kleines, schwüles Dachstübchen verließ, hielt sie ein paar Minuten Zwiesprache mit ihrer Großmutter. Beschütz uns, Großmutter. Lass mich leben, um meinen Mann wieder umarmen zu können. Adia bekam keine Antwort, aber eine ermutigende Wärme durchströmte sie.
Sie ging die Treppe hinunter und dachte, wie seltsam es doch war, dass sie, falls sie Glück hatte, diesen Ort und diese Leute nie wiedersehen würde. Schweren Herzens fand sie sich mit dem Gedanken ab, auch Miss Sophies Kinder nie wiederzusehen. Als sie den ersten Stock erreichte, wandte sie sich impulsiv nach rechts zum Kinderzimmer, statt weiter die Dienstbotentreppe hinabzugehen.
Eine Laterne brannte im Zimmer der Kinder, da die kleine Amy sich im Dunkeln fürchtete. Aus Anstandsgründen würden sie und ihr großer Bruder bald getrennte Zimmer erhalten, aber noch erfreuten die Geschwister sich ihrer Gesellschaft. Das mittlere Kind, Henry, war an einem Fieber gestorben. Adia hatte Miss Sophie in den Armen gehalten, als ihre Herrin um den kleinen Jungen geweint hatte. Damals hatte es weder Weiß noch Schwarz gegeben, nur zwei Frauen, die trauerten.
Amy hielt ihre Stoffpuppe im Arm, die schon ganz verschlissen war, weil die Kleine sie überall mit hinnahm. Adia war versucht, dem Kind über die Wange zu streichen, wagte aber nicht, das Mädchen aufzuwecken. Der kleine Joseph lag mit ausgestreckten Armen und Beinen auf dem Bett und sah aus, als könnte er jeden Moment aufspringen. Gott, wie sie die Kinder vermissen würde - sie waren fast ebenso sehr die ihren wie ihre eigene kleine Molly! Adia hoffte, dass sie in einer besseren Welt aufwachsen würden, in der es keine Sklaverei mehr gab, aber das war eher unwahrscheinlich.
Nachdem sie sich still von ihnen verabschiedet hatte, verließ sie das Kinderzimmer wieder. Trotzig ging sie auf die prächtige, geschwungene Treppe zu, die nur von der Familie, aber nie von den Sklaven benutzt wurde, die die verborgene Dienstbotentreppe zu benutzen hatten. Adia legte eine Hand auf das Mahagonigeländer, raffte mit der anderen ihren Rock und schickte sich an, wie eine große Dame zum Erdgeschoss hinabzuschweben.
Sie hatte gerade den ersten Schritt getan, als eine Hand ihren Arm berührte. »Addie?«
Adia fuhr herum und zog instinktiv ihr Messer, während sie sich dafür verwünschte, im Kinderzimmer haltgemacht zu haben. Sie wäre längst aus dem Haus, wenn sie nicht dieser Versuchung nachgegeben hätte. Aber nun würde sie sich nicht mehr aufhalten lassen, von niemandem.
Im Mondschein sah sie Miss Sophie, die entsetzt das Messer in ihrer Hand anstarrte. »Addie?«, fragte sie erneut, und diesmal zitterte ihre Stimme. Ihr Blick glitt zu der großen Tasche, die über Adias Schulter hing. »Du läufst weg!«
»Ja.« Adia hielt das Messer bereit, während sie fieberhaft überlegte, was zu tun war. Einen Fremden oder jemanden, der Daniel oder Molly bedrohte, hätte sie vielleicht töten können, aber Miss Sophie?
Ihre Herrin starrte wieder das Messer an. »Würdest du mich ermorden, Addie?«
Adia ließ das Messer ein wenig sinken, als sie daran dachte, dass Miss Sophie sie das Lesen gelehrt hatte, und an die Momente, in denen sie ganz offen miteinander gesprochen hatten, obwohl sie Herrin und Sklavin gewesen waren. »Das könnte ich nicht. Aber ich kann und werde Euch fesseln und knebeln, wenn es sein muss.« Falls das geschah, waren ihre Möglichkeiten einer erfolgreichen Flucht gering. Doch sie konnte es sich jetzt nicht mehr anders überlegen. Sie sehnte sich fast ebenso sehr danach, als freie Frau zu atmen, wie sie sich nach Daniel sehnte.
»Warum?«, wollte Miss Sophie wissen, nicht mehr ganz so angespannt, da sie nun nicht mehr um ihr Leben fürchtete. »Habe ich dich nicht gut behandelt? Ich dachte, wir wären Freundinnen, Addie.«
»Ihr wart eine gute Herrin, Miss Sophie. Dafür bin ich Euch dankbar.« Adia senkte das Messer, steckte es jedoch noch nicht wieder in seine Scheide. »Doch Sklaven und Herren können niemals Freunde sein. Ihr könnt das nicht verstehen, nicht wirklich. Wie würdet Ihr Euch fühlen, wenn Ihr gezwungen wärt zu arbeiten und Euch die Peitsche oder gar der
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