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Die Statisten - Roman

Die Statisten - Roman

Titel: Die Statisten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A1 Verlag GmbH
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wer den Reifen wechselte, als der DeSoto von Vijayanthimala mal einen Platten hatte? Und dann war da noch das eine Mal, als es innerhalb von zehn Stunden 400 Millimeter regnete, Raj Kapoors Chevrolet Impala drei Fuß tief im Wasser stecken blieb und Eddie ihn aus dem Schlammloch herauswuchtete. Raj-sahab hatte ihm persönlich gedankt. Er hatte Eddie sogar versprochen, wenn es in seinem nächsten Film eine Rolle für einen gut aussehenden jungen Mann gäbe, der akrobatische Kunststücke am Malkhamb vorführen konnte, ihn zu Probeaufnahmen einzuladen.
    Manche der männlichen Stars waren so ungehobelt, dass Eddie sie nicht einmal grüßte. „Erzähl mir nicht, wie viel Rajendra Kumar oder Dilip-ji für einen Film kriegen! Wenn du wissen willst, was wahre Kultur ist, was es bedeutet, ein echter Aristokrat zu sein“, vertraute Eddie seinen neuen Bekannten, die ebenso sehr wie er darauf erpicht waren, Schauspieler zu werden, gewichtig an, „dann kommt niemand anderer als Balraj-ji in Frage, und natürlich Dev-sahab. Sie sind die einzigen wirklichen Gentlemen in der Filmbranche. Balraj-ji lächelt nur schüchtern, aber Dev Anand winkt mir immer zurück, wenn ich ihn grüße.“
    Eddie duzte sich mit sämtlichen hohen Tieren im Business, auch wenn die Stars selbst keinen blassen Schimmer davon hatten. Er wusste alles über sie, kannte ihre Schrullen und Eigenheiten; wer von ihnen abergläubisch war (das waren sie alle, ausnahmslos) und wer ihr Astrologe war; wer mit wem eine Affäre laufen hatte und wer gerade abserviert wurde. Es war verblüffend, wie er mit einem einzigen Blick erkennen konnte, ob eine Schauspielerin Gummititten hatte oder ob ihre hochgebirgigen Möpse echt waren.
    Es gab keine größeren Autoritäten in Sachen Hindi-Film als Eddie und seine Freunde. Klatsch war ihr Lebenselixier. Er hielt sie auf Kurs trotz aller Rückschläge, die sie erlitten. Sie wussten über sämtliche heimlichen Deals Bescheid, wie viel ein Superstar offiziell bekam und wie viel schwarz, wer auf dem Weg nach oben und wessen Stern am Sinken war. Sie konnten einem haarklein erklären, warum ein Film trotz Starbesetzung floppte und warum ein anderer ein Kassenerfolg wurde – auch wenn sie vorher vorausgesagt hatten, dass der betreffende Streifen sich als Rohrkrepierer erweisen würde. Im Nachhinein waren sie allesamt unfehlbar; mochten sie sich auch selbst widersprechen, wiederholt alles missverstehen, egal: Sie hatten die volle Wucht des Halbwissens oder die Fülle totaler Ignoranz auf ihrer Seite – und dazu das unüberwindliche Bedürfnis, an sich selbst zu glauben.
    Jeden Abend studierte Eddie die Drehpläne sämtlicher Studios für den nächsten Tag – welcher Produzent welchen Film drehte und mit wem – und entschied dann, wo er am ehesten die Chance haben würde, wahrgenommen zu werden.
    Um halb acht stand er mit einer Gruppe anderer Hoffnungsträger wie die Lässigkeit in Person vor V. Shantarams Rajkamal Studios, aber er wusste, und sie alle wussten, dass jeder Einzelne von ihnen am Vorabend stundenlang vor dem Spiegel gestanden und die gesamte Bandbreite menschlicher Ausdrucksmöglichkeiten einstudiert hatte – angefangen mit dieser machomäßigen Gleichgültigkeit, die zu verstehen gab, dass sie mit diesem zusammengewürfelten Haufen nichts zu tun hatten, sondern gerade rein zufällig vorbeikamen. In dem Moment, in dem ein vertrauter Wagen mit einem Produzenten, einem Regisseur oder einer Schauspielerin am Tor des Studios vorfuhr, hörten Eddie und seine Freunde schlagartig auf zu plaudern; ihre Körpersprache änderte sich, und sie fingen fast unbewusst an, zu posieren und sich in Szene zu setzen. (Für einen männlichen Star allerdings nie. Sie wussten alle nur zu gut, dass sie für ihn den potenziellen Gegner darstellten. Schließlich konnte einer dieser Parvenüs schon morgen ein Star werden und ihn verdrängen.) Sie hatten nichts anderes als diesen einen Moment, um ein strahlendes Lächeln zu produzieren, unnahbar und stolz, oder aber unwiderstehlich und bereit, wie Sushi roh und mit einem Happs verspeist zu werden, oder auch grüblerisch und schwermütig auszusehen, kurz: in diesem Bruchteil einer Sekunde kundzutun, dass dies das kommende Leinwandidol war, der Mann, der die Damen mit sofortigen multiplen Orgasmen niederstrecken und die Herren der Schöpfung zu

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