Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)
Gelassenheit und des Handelns durch Nicht-Handeln, gekommen ist, dann war es Helmut Kohl. Dazu passt auch, dass er im richtigen Moment auf sein Tao vertraut und die Wiedervereinigung nach Hause geholt hat.
Kohls gleichmütige Haltung gegenüber Medienvertretern, innerparteilichen Gegnern und der Opposition verdichtete sich in dem Satz: „Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter.“ Dementsprechend wird Kohls politische Strategie bis heute mit dem Begriff „Aussitzen“ identifiziert. Rainer Zimmermann schreibt darüber in seinem Strategiebuch , in dem er 72 Grundfiguren strategischen Handelns porträtiert: „In der Politikwissenschaft wird der Erfolg des Kohl’schen Aussitzens zwiespältig diskutiert: Mit Blick auf sein Agieren als CDU-Vorsitzender wird das Aussitzen als einzig kluger Ausweg erachtet, da Kohl innerparteilich nur über sehr begrenzte Machtressourcen verfügt habe. Deshalb war er notgedrungenzum Interessenausgleich und zum Abwarten gezwungen. Andere Kommentatoren sehen im strategischen Handlungsmuster des Aussitzens ein Zeichen für Kohls Entscheidungsschwäche und seinen mangelnden Gestaltungswillen.“
Insgesamt kommt das Aussitzen als strategische Grundfigur bei Zimmermann nicht besonders gut weg: „Der Kern des Handlungsmusters besteht in Passivität und Opportunismus, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Nur aus einer Position der Schwäche heraus ist Aussitzen sinnvoll.“
Dass darin nicht die ganze Wahrheit stecken kann, beweist niemand anderes als Kohls Nachfolgerin,Angela Merkel, lange Zeit gern als „Kohls Mädchen“ unterschätzt. Unterschätzt werden ist überhaupt einer der Schlüsselfaktoren zum Erfolg der Stein-Strategie.
Blickt man auf Merkels innerparteiliche Erfolgsbilanz, so hat sie alle hausinternen Konkurrenten und einstigen Kronprinzen erfolgreich ausgesessen: von Friedrich Merz über Roland Koch, Norbert Röttgen, Ole von Beust bis Christian Wulff. Sämtliche männlichen Hoffnungsträger der CDU und Mitglieder des ominösen Andenpaktes sind auf wundersame Weise verbrannt, haben sich selbst kaltgestellt oder sind an ihr abgeprallt; Merkel steht wie ein Findling allein auf weiter Flur.
Innenpolitisch steht Merkel ihrem Ziehvater Kohl in nichts nach, was die Kultivierung eines gediegenen Stillstandes angeht. Ihre Wiedervereinigung war der Atomausstieg, bei dem sie unter dem Eindruck der Fukushima-Katastrophe einmal Handlungsfähigkeit beweisen und dem grünen Angstgegner das Thema wegschnappen konnte. Ansonsten hat sie sich und das Land mit einer Moosflechte überzogen, an der jede Initiative abtropft. Nicht von ungefähr hat Nikolaus Blome, Leiter des Hauptstadtbüros der BILD -Zeitung, sein soeben erschienenes Buch über Angela Merkel Die Zauderkünstlerin genannt.
Besonders deutlich wurde das im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2009, in dem Merkel jegliche Auseinandersetzung mied. Adressat dieser Einschläferungstaktik waren natürlich nicht die eigenen, sondern die SPD-Wähler,denen keinerlei Anlass gegeben werden sollte, sich von einer Anti-Merkel-Stimmung an die Urne treiben zu lassen. „Asymmetrische Demobilisierung“ haben Politikwissenschaftler der Forschungsgruppe Wahlen diese Strategie getauft. Wegen des großen Erfolges wurde das Stück dauerhaft in den Spielplan aufgenommen, wie Ralf Tils in einem Aufsatz in der Berliner Republik feststellt: „Der Begriff ist unaussprechlich und im christdemokratischen Lager tabuisiert (die Suche nach einem anderen Namen läuft). Aber konzeptionell bildet die asymmetrische Demobilisierung seit der letzten Großen Koalition das richtungspolitische Fundament der Merkel-Union.“
Auch außenpolitisch ergibt sich ein ähnliches Bild. Wobei es Merkel mit ihrer angewandten Stein-Strategie hier nicht darum geht, an der Macht zu bleiben, sondern Deutschlands Machtposition in Europa zu zementieren: „Merkiavellismus“ hat der Soziologe Ulrich Beck in einem Interview Anfang 2013 den Machtstil getauft, mit dem Merkel Deutschland heimlich, still und leise zum Profiteur der europäischen Staatsschuldenkrise gemacht hat: „Angela Merkel hat die Methode ‚Merkiavelli‘ entwickelt, eine Verbindung zwischen Machiavellis und Merkels Machtpolitik. Ein charakteristisches Merkmal davon ist ihre Neigung zum Nicht-Handeln, Noch-nicht-Handeln, Später-Handeln, zum Zögern. In ihrem machtpokernden Jein erfahren die auf Kredit angewiesenen Länder und Regierungen ihre Abhängigkeit von der Zustimmung Deutschlands und damit
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