Die Steine der Fatima
schon wieder?« Sichtlich verärgert trat der Nomade an seine Seite.
»Sieh nur!«, stieß Ahmad mühsam hervor und packte den jungen Mann am Arm. »Dort oben am Stadttor hängt jemand!«
Saddin warf einen flüchtigen Blick in die Richtung.
»Und? Der hängt schon seit zwei Tagen da.«
»Aber jemand muss ihn abnehmen. Er muss beerdigt werden, bevor die Krähen ihr Werk beginnen.«
»Das haben sie bereits getan«, entgegnete Saddin, und ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Lippen. »Glaubt mir, die Welt ist besser dran ohne Malek al-Omar.«
»Malek? Aber du selbst hast doch um seine Freilassung gebeten!«, entfuhr es Ahmad. »Und jetzt erfreust du dich an seinem Tod?«
»Wundert Euch das?« Das Lächeln des Nomaden jagte Ahmad Schauer über den Rücken. »Ihr seid nicht der einzige Mann, der mich um meine Hilfe bittet oder…«, er atmete tief ein, »…der getroffene Vereinbarungen bricht. Ich wünsche Euch einen guten Heimweg, Ahmad al-Yahrkun. Und denkt immer an meine Worte.«
Er verneigte sich, führte die Hand zu Mund und Stirn und verschwand dann mit schnellen leichten Schritten irgendwo in den undurchdringlichen Tiefen seines Zeltes.
Endlich brachte der Diener Ahmads Schuhe. Wie im Traum ging er durch die Zeltstadt dem Stadttor entgegen. Saddins Worte waren verletzend gewesen. Der Nomade hatte sich nicht einmal bemüht, seinen Hohn und seinen beißenden Spott wie üblich in Höflichkeit zu kleiden und somit zu mildern. Er hatte es sogar gewagt, ihm zu drohen. Dennoch hatte Ahmad den Eindruck, dass er nicht belogen worden war. Die Antworten des Nomaden hatten offen und ehrlich geklungen, offener und ehrlicher, als ihm, und vermutlich auch Saddin selbst, lieb war. Der Nomade hatte den Stein der Fatima also niemals in seinem Besitz gehabt, und er hatte Samira nicht getötet. Aber wenn weder er noch die Barbarin den heiligen Stein hatte – wo um alles in der Welt war er dann?
Langsam wie ein Schlafwandler setzte Ahmad einen Fuß vor den anderen. Als er den Emir so überstürzt verlassen hatte, war es um die dritte Stunde gewesen. Mittlerweile musste es weit nach Mittag sein. Unbarmherzig brannte die Sonne auf ihn nieder, die Hitze staute sich in den engen, staubigen Straßen und ließ die Luft vibrieren. Häuser, Türen und Fenster wurden verzerrt und wirkten wie Traumgebilde oder Erscheinungen aus der Geisterwelt, die ständig ihre Formen wechselten, um so den einsamen Wanderer zu verwirren und ins Verderben zu treiben. Weit und breit war kein Mensch und kein Tier zu sehen, alles was Beine hatte, hatte sich in den Schutz der Häuser zurückgezogen. Die Hitze war unerträglich. Langsam ging Ahmad die menschenleeren Gassen entlang. Der Schweiß rann ihm in Strömen über das Gesicht, seine Gewänder waren feucht, seine Zunge klebte am Gaumen. Ein dumpfer Schmerz pochte an seinen Schläfen, sein Gesicht glühte, tausend winzige Flammen schienen auf seiner Haut zu tanzen und ihn langsam zu verbrennen. Der Druck in seinem Schädel wurde immer stärker. Gleich würde sein Kopf platzen und wie ein überreifer Granatapfel sein Inneres nach außen schleudern, hier mitten auf die staubige Straße, den Raben und Geiern zum Fraß. Dennoch konnte er nur daran denken, dass er zum ersten Mal das Mittagsgebet versäumt hatte und dass er immer noch nicht wusste, wo der Stein der Fatima war. Während er sich mühsam unter der unbarmherzigen Sonne dahinschleppte, bat er Allah um Verzeihung für seine Verfehlungen. Die Perlen des Rosenkranzes rutschten durch seine feuchten Hände. Ihm wurde übel. Da hob er den Blick, und im gleißenden Sonnenlicht, direkt vor seinen Augen, sah er ein Schild. Ein Schild aus Messing. Ahmads Augen taten weh, und er konnte den Namen nicht lesen, der dort geschrieben stand. Doch er erkannte die daneben abgebildete Schlange, die sich anmutig um einen gekrümmten Stab wand. Und in diesem Augenblick wusste er, dass Allah ihm bereits verziehen hatte. Mit letzter Kraft schlug Ahmad al-Yahrkun gegen die schwere schlichte Tür des Hauses. Dann sank er in die Knie.
Ali war nicht wenig überrascht, als Selim ihm meldete, Ahmad al-Yahrkun, der Großwesir, liege direkt vor seinem Haus auf der Straße. Im ersten Augenblick hielt Ali es für einen Scherz, denn dass der Großwesir ihm gegenüber eine tiefe Abneigung empfand, war wohl niemandem in ganz Buchara entgangen. Dennoch lief er auf der Stelle hinunter. Ein bewusstloser Mann, der mitten auf der Straße direkt vor dem Tor eines Arztes lag,
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