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Die Steine der Fatima

Die Steine der Fatima

Titel: Die Steine der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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machte keinen günstigen Eindruck, ganz gleich, ob es sich nun tatsächlich um den Großwesir von Buchara handelte oder nicht.
    »Wer hat ihn gefunden?«, fragte er Selim auf dem Weg.
    »Der Torsklave, Herr«, keuchte der Diener, der mit seinem jungen Herrn kaum mehr Schritt halten konnte. »Er hat ein schwaches Klopfen an der Tür gehört und mehrmals nachgefragt, wer da sei. Als sich niemand meldete, hat er vorsichtig die Tür geöffnet. Und da lag der Mann – genau zu seinen Füßen. Der Torsklave hat sofort mich gerufen. Ich habe mir den Mann angesehen und mich dann sogleich auf den Weg gemacht, um Euch zu verständigen!«
    Der Sklave, ein junger, kräftig gebauter Mann, ging vor dem geschlossenen Tor nervös auf und ab. Als er Ali und Selim kommen sah, blieb er stehen und verneigte sich fast bis zum Boden.
    Ali sah sich irritiert um. An einem Pfosten lehnte die säuberlich zusammengerollte Strohmatte, auf welcher der Torsklave während der Nacht schlief. Ansonsten war der Eingangsbereich leer.
    »Wo ist der Mann?«
    »Draußen, Herr«, antwortete der Sklave. »Ich habe ihn so liegen lassen, wie ich ihn vorfand.« Ali stieß einen tiefen Seufzer aus. Für einen kurzen Augenblick hatte er gehofft, dass es diesen rätselhaften Mann vor seinem Tor gar nicht gab.
    »Dann öffne doch die Tür!«, sagte Ali schroffer, als er beabsichtigt hatte. Der junge Sklave beeilte sich, den fast eine Elle breiten, mit Eisenbeschlägen versehenen Riegel anzuheben und den schweren Torflügel aufzuziehen, sodass Ali auf die Straße treten konnte. Draußen wurde er von Gluthitze und grellem Sonnenlicht empfangen. Dann sah er den Mann. Regungslos lag er vor ihm im Staub. Ali blickte die Straße hinauf und hinunter, es war niemand zu sehen.
    Natürlich nicht, dachte er. Wer auch immer den armen Kerl hier hingelegt haben mochte, war schon längst wieder über alle Berge.
    Ali schüttelte resigniert den Kopf. Bisher hatten die Einwohner Bucharas davon abgesehen, ihm die kranken und siechen Menschen einfach vor die Haustür zu legen. Hoffentlich blieb dies hier ein Einzelfall.
    Ali wandte sich wieder dem Mann zu. Er trug weder einen Turban noch eine andere Kopfbedeckung, sodass sein kurz geschnittenes, bereits schütteres Haar sichtbar war. Der sorgfältig gestutzte Bart war ebenso hell vor Staub und Sand wie seine teuren Gewänder. Er sah aus, als wäre er tagelang zu Fuß durch die Wüste gewandert. Aber am meisten erschreckte Ali das Gesicht des Mannes. Er konnte sich zwar nicht vorstellen, wie Selim in diesem hochroten, schweißig glänzenden, verquollenen Gesicht mit den blutig aufgesprungenen Lippen Ahmad al-Yahrkun, den Großwesir, wiedererkannt haben wollte, aber eine gewisse Ähnlichkeit war nicht zu leugnen.
    Ali kniete neben dem Mann nieder und legte ihm behutsam eine Hand auf die Brust. Er atmete schnell und schwach. Dann prüfte er mit dem Handrücken die Stirn und die Wangen des Mannes; wie Ali bereits vermutet hatte, waren sie glühend heiß.
    »Dieser Mann war lange schutzlos der Hitze und der Sonne ausgesetzt«, sagte er zu seinen beiden Dienern, die ihn neugierig beobachteten. »Tragt ihn vorsichtig hinein.«
    Behutsam nahmen Selim und der Torsklave den bewusstlosen Mann an Armen und Beinen und schleppten ihn ins Innere des Hauses.
    Gedankenverloren ging Ali hinter ihnen her. Wenn das wirklich Ahmad al-Yahrkun war, weshalb war er dann in diesem Zustand?
    Er hatte doch genügend Diener und Sklaven, die ihn mit einer bequemen Sänfte jederzeit zu jedem Ort bringen würden. Warum hatte er stattdessen den Palast ausgerechnet während der größten Hitze verlassen und sich somit einer unnötigen Gefahr ausgesetzt? Weshalb war er zu ihm gekommen? Und vor allem – weshalb trug der Großwesir nur Kleidung, wie man sie im Inneren des Hauses anhatte? Seine leichten, seidenen Pantoffeln waren schmutzig, die Sohlen von Sand und Steinen aufgerissen. Diese Schuhe waren bestenfalls für das Laufen auf Marmor oder weichen Teppichen geeignet, nicht aber für einen Marsch auf staubiger Straße. Hatte der Großwesir keine Zeit gehabt, seine Kleidung zu wechseln, bevor er auf die Straße ging? Hatte er vielleicht den Palast gar nicht freiwillig verlassen? Immer mehr Fragen tauchten auf, Fragen, die nur einer beantworten konnte – der Mann selbst.

    Ali ließ den Kranken in das kleine Zimmer bringen, das direkt neben seinem Arbeitszimmer lag und von allen Dienern seines Haushalts nur Patientenkammer genannt wurde. Für gewöhnlich nutzte

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