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Die Steine der Fatima

Die Steine der Fatima

Titel: Die Steine der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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»Wir sollten noch einmal alle darüber reden. Ich weiß nämlich nicht, ob ihr euch über die Konsequenzen im Klaren seid und…«
    »Da!«, unterbrach Fatma sie und deutete nach unten in die Halle. »Da ist Jambala! Soeben hat sie die Halle betreten.«
    Ein Raunen ging durch die versammelten Frauen, als Jambala zwischen den Büschen und Bäumen auftauchte – tatsächlich unverschleiert. Die junge Schwarze trug ein schlichtes kurzärmliges Kleid aus leuchtend gelber Seide, das ihre dunkle Haut besonders gut zur Geltung brachte.
    Ihre Haare waren mit einem seidenen Band in derselben Farbe zurückgebunden. Im ersten Moment wirkte sie ein wenig unsicher, und Beatrice hegte die Hoffnung, Jambala würde der Mut verlassen und sie würde umkehren, bevor einer der Männer auf sie aufmerksam geworden war. Doch dann blickte die junge Frau empor. Beatrice war sicher, dass sie nichts sehen konnte außer den dichten hölzernen Gittern. Aber Jambala wusste von der Anwesenheit der anderen Frauen, sie wusste, dass mehr als vierzig Augenpaare zu ihr hinunterstarrten und gespannt darauf warteten, dass sie den entscheidenden Schritt tat. Beatrice sah, dass Jambala ihre Schultern straffte, ihren Kopf hob und ihr Kinn vorstreckte und mit ruhigem Schritt ihren Weg durch die Halle fortsetzte. Eine Weile geschah nichts. Jambala schlenderte durch die Halle, ohne einem der Männer zu begegnen. Mit jedem Schritt schien sie sich sicherer zu fühlen, und schließlich begann sie leise zu summen.
    Mehr als vierzig Frauen auf der Galerie hielten die Luft an und wagten kaum zu atmen. Da bog einer der jungen Männer hinter einem der Brunnen hervor und stand plötzlich direkt vor Jambala.
    » Showtime!«, flüsterte Beatrice.
    Am liebsten hätte sie sich die Augen zugehalten, aber das wäre feige gewesen. Was auch immer dort unten geschehen würde, sie trug zu einem nicht unerheblichen Teil die Schuld daran. Hätte sie den anderen nicht von Emanzipation und Frauenbewegungen erzählt, wäre es niemals so weit gekommen.
    Sie alle sahen, wie dem jungen Mann vor Überraschung die Kinnlade auf die Brust fiel. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er Jambala an, als fürchtete er, sie wäre ein Dschinn oder eine Hexe, die ihn verzaubern wollte. Vermutlich war das von seinem Standpunkt aus wahrscheinlicher als der Gedanke, dass eine Frau aus dem Harem es wagen würde, unverschleiert in der Halle des Emirs herumzuspazieren. Noch ehe der junge Mann etwas sagen oder tun konnte, stieß der zweite auf Jambala. Er blieb wie angewurzelt stehen, jeder Tropfen Blut wich aus seinem Gesicht. Voller Angst deutete er mit dem Finger auf Jambala und stammelte dabei unverständliches Zeug.
    »Der Friede sei mit euch! Würde mir bitte einer von euch einen Pfirsich pflücken?«
    Die erstaunlich tiefe, raue Stimme der jungen Frau war bis zur Galerie hinauf deutlich zu hören. Es war eine simple Bitte, höflich vorgetragen, auf die man nur mit Ja oder Nein zu antworten brauchte. Doch die beiden jungen Männer sagten gar nichts. Einen Moment lang starrten sie Jambala an, dann stießen beide einen wilden Schrei des Entsetzens aus und rannten in unterschiedliche Richtungen davon.
    Jambala sah zu den anderen Frauen hoch und lächelte breit. Auf der Galerie begannen die Frauen zu jubeln. Sie lachten und lagen sich in den Armen und dankten Allah, als hätten sie bereits einen entscheidenden Sieg errungen. Nur Sekireh und Beatrice stimmten in den Jubel nicht mit ein. Vielsagend sahen sie sich an. Beide waren davon überzeugt, dass der Jubel viel zu früh kam. Betrübt schüttelte Sekireh den Kopf, ihr Gesichtsausdruck sprach Bände. Die alte Frau befürchtete Schlimmes. Beatrices Puls beschleunigte sich, ihr Magen begann, Purzelbäume zu schlagen. Diese Geschichte war mit Sicherheit noch lange nicht vorbei, der eigentliche Tanz würde jetzt erst beginnen.
    Als sollten Beatrices Gedanken bestätigt werden, hörte man plötzlich vom anderen Ende der Halle her das laute Klirren und Rasseln von Säbeln. Soldaten! Einer der beiden jungen Männer musste die Soldaten zu Hilfe gerufen haben. Wie auf ein geheimes Zeichen hin verstummte der Jubel der Frauen. Voller Entsetzen starrten sie auf Jambala hinunter, die die Soldaten zwar hören, aber noch nicht sehen konnte und sich unsicher in alle Richtungen umschaute. Alle hielten den Atem an. Dann erblickte Jambala den ersten Soldaten – es war ein riesiger breitschultriger Kerl mit einem brutalen Gesicht und einem eisenbeschlagenen Knüppel in

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