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Die Steine der Fatima

Die Steine der Fatima

Titel: Die Steine der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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auch nicht mit meinem Sohn!«, entgegnete Sekireh heftig. »Niemand soll von meiner Krankheit erfahren. Ich will weder Mitleid noch dass andere meine Schwäche ausnutzen.«
    Beatrice nickte.
    »Gut, wie du möchtest. Du kannst dich auf mich verlassen, Sekireh. Ich stehe unter Schweigepflicht.«
    Sekireh nahm Beatrices Hand und drückte sie. »Ich danke dir. Ich danke dir auch für deine Offenheit. Ich kenne nur wenige Menschen in Buchara, die es gewagt hätten, mir die Wahrheit zu sagen. Das weiß ich zu schätzen.« Sie stützte sich auf ihren Stock und seufzte wieder. »Wenn es so weit ist, möchte ich, dass du für mich sorgst.«
    Beatrice nickte wieder. »Ich werde tun, was ich kann.«
    »Ich will jetzt gehen. Ich muss nachdenken.«
    Beatrice half Sekireh beim Aufstehen und begleitete sie bis zur Tür.
    »Du sprichst ausgezeichnet Arabisch«, sagte Sekireh anerkennend. »Man könnte fast glauben, du seist hier auf gewachsen.«
    »Vielen Dank für das Kompliment.« Natürlich übertrieb Sekireh ein bisschen. Beatrice fiel es selbst auf, wie schrecklich ihr Akzent manchmal klang und dass sie einige Worte immer wieder falsch aussprach, sodass sie einen anderen Sinn ergaben. Aber sie hatte in den knappen zwei Monaten so gut Arabisch gelernt, wie sie es selbst kaum für möglich gehalten hatte. Sie sprach zwar noch lange nicht fließend, aber sie konnte sich inzwischen gut unterhalten, und es gelang ihr sogar, einige Dialekte zu unterscheiden. »Ich habe eine ausgezeichnete Lehrerin. Mirwat hat sehr viel Zeit und Mühe für mich geopfert.«
    »Nicht allein dem Lehrer, auch dem Schüler gebührt der Ruhm«, sagte Sekireh. »Zwei Monate sind keine lange Zeit, um eine fremde Sprache zu lernen.«
    »Es fiel mir leicht. Arabisch ist eine so feine, wohlklingende Sprache. Je besser ich sie beherrsche, umso mehr lerne ich, sie zu lieben.«
    »Du bist sehr bescheiden, meine Tochter, das gefällt mir«, erwiderte Sekireh und gab Beatrice überraschend einen Kuss auf die Wange. »Der Segen Allahs ruhe auf dir!«
    Beatrice machte die Tür hinter Sekireh zu und trat ans offene Fenster. Die kühle, klare Morgenluft wehte ihr ins Gesicht, die Sterne begannen bereits zu verblassen. Sie war erstaunt, wie gefasst und ruhig Sekireh diese Hiobsbotschaft aufgenommen hatte. Sie hatte mit Tränen und lautem Wehklagen gerechnet, aber vielleicht hatte Sekireh bereits die Wahrheit geahnt. Was für eine starke Frau. Kein Wunder, dass sich die Männer, die nur bedingungslosen Gehorsam gewöhnt waren, vor ihr fürchteten.
    Beatrice seufzte und schloss für einen Moment die Augen. Gespräche dieser Art nahmen sie immer mit. Trotz ihrer jahrelangen Erfahrung hatte sie sich nicht daran gewöhnt, und vermutlich würde sie sich auch niemals daran gewöhnen können. Es war nicht allein das Leid eines anderen Menschen, mit dem man konfrontiert wurde. Jedes Mal sah man dabei seinem eigenen Tod ins Gesicht. Niemand ist unsterblich. Auch Chirurgen nicht.
    In diesem Augenblick begann der Muezzin mit seinem Morgengesang. Als Ungläubige brauchte sie an den Gebetszeiten nicht teilzunehmen, aber sie wusste, dass in allen anderen Zimmern die Frauen jetzt aufstanden, ihre Gebetsteppiche entrollten und in Richtung Mekka geneigt ihre Gebete sprachen. Wahrscheinlich auch Sekireh.
    »Welch ein Start in den neuen Tag«, sagte Beatrice leise und spürte, wie ihr ein Schauer über den Rücken lief.

    Am Abend gingen Beatrice und Mirwat im Garten spazieren – unverschleiert. Die »Stunde der Frauen« nannte Beatrice insgeheim diese zwei Stunden vor Sonnenuntergang, in denen sich jeden Abend die Frauen des Emirs im Garten aufhalten durften, ohne die nervtötende, zeitraubende Prozedur des Verschleierns auf sich nehmen zu müssen. Beatrice konnte sich jedes Mal wieder über die komplizierten Vorschriften ereifern, die den Umgang von Männern und Frauen regelten. In ihren Augen waren sie menschenverachtend. Sie vermochte nicht zu verstehen, wieso ihr, nur weil sie eine Frau war, in einigen Teilen des Palastes der Zugang strikt verboten war, oder weshalb sie andere, zu denen auch die traumhaft schöne Halle des Palastes gehörte, nur verschleiert und lediglich zu festen Zeiten betreten durfte. Jedes Mal, wenn Beatrice in die Halle wollte, musste sie sich verhüllen, bis nur noch die Augen sichtbar waren und sie sich vorkam wie ein Randalierer aus der Hausbesetzer-Szene. Es reichte nämlich nicht aus, sich einfach ein Tuch um den Kopf zu wickeln, um das Gesicht zu

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