Die Steine der Fatima
ein gewissenloser Dieb, ein skrupelloser Hehler, und er war klug. Nach dem Gespräch mit Ahmad musste ihm klar geworden sein, dass der Stein noch weitaus kostbarer war, als er angenommen hatte. Der Nomade war wieder zu Samira zurückgeschlichen, um ihr den Stein abzunehmen. Und als sie ihn nicht herausrücken wollte, hatte er die Alte kaltblütig ermordet. Ahmad wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ja, genau so musste es gewesen sein. Was aber hatte Saddin mit dem Stein vor? Hatte er ihn möglicherweise gestohlen, um ihn zu verkaufen? Wenn er nun den Falschen in die Hände geriet? Saddin unterhielt sicherlich auch Kontakte zu den Diebesbanden und Schurken der Stadt. Die wären bestimmt bereit, erhebliche Summen zu zahlen. Aber was würden solche Menschen mit diesem für die Gläubigen unendlich wertvollen Stein, mit dieser heiligen Reliquie anstellen?
Ahmad lief es eiskalt den Rücken hinunter, sein Magen schlug Purzelbäume. Er musste zu Saddin, er musste mit ihm reden, sofort. Er konnte nicht erst eine Taube losschicken und auf die Antwort warten. Er musste zu ihm, auf der Stelle. Es galt, ein Sakrileg zu verhindern.
»Ahmad!«, rief Nuh II. und schüttelte ihn grob. »Was ist mit dir los?«
Erst jetzt fiel Ahmad auf, dass Nuh II. ihn bei den Schultern gepackt hielt.
»Nicht jetzt!«, stieß er ungewohnt heftig hervor und befreite sich aus dem Griff des Emirs.
Sichtlich erschrocken wich Nuh II. einen Schritt zurück. »Ahmad, was…?«
»Verzeiht, Herr«, stammelte Ahmad. Ihm war sein ungehöriges Benehmen durchaus bewusst, aber er konnte nicht anders. Was waren Nuhs Schwierigkeiten mit dem Harem schon im Vergleich zu der Gefahr, die dem Stein der Fatima und somit allen Gläubigen drohte? »Ich kann jetzt nicht…«
Fassungslos starrte ihn der Herrscher von Buchara an. »Was soll das heißen, Ahmad?«
»Mir ist… ich muss dringend fort, Herr, verzeiht!«
»Ja sind denn jetzt alle verrückt geworden?«, brüllte Nuh II. »Willst auch du mich im Stich lassen? Habt ihr euch alle gegen mich verschworen?«
»Nein, Herr. Es ist nur…« Der Emir tat Ahmad fast leid, aber er konnte es ihm nicht erklären, nicht jetzt, nicht, wenn ihm die Zeit wie feiner Sand zwischen den Fingern verrann. »Ich werde erwartet. Ich verspreche Euch, wenn ich zurückkomme, ist mir eine Lösung eingefallen, wie Euer Harem wieder zur Vernunft gebracht werden kann.«
Abrupt drehte er sich um, ließ den überraschten Emir in seinem Schlafgemach stehen und machte sich auf den Weg zum Palasttor. Wo würde er Saddin finden? Sollte er einfach am Hause des Schreibers anklopfen? Vermutlich war Saddin gar nicht anwesend, und niemand würde ihm dort mitteilen, wo der Nomade war. Da fielen ihm Saddins Zelte vor den Toren Bucharas ein. Dort hielt sich der Nomade oft auf. Dort würde er so lange auf ihn warten, bis er zurückkäme.
Ahmad hastete die Gänge entlang, ohne auf die Diener und Beamten zu achten, die gemächlichen Schrittes ihren Tagewerken nachgingen. Mit einigen von ihnen stieß er zusammen, andere retteten sich durch einen Sprung zur Seite. Ahmad selbst rutschte über den glatten Marmor, bewahrte nur mühsam sein Gleichgewicht und rappelte sich hastig wieder auf. Er ließ sich nicht einmal die Zeit, um Verzeihung zu bitten. Doch er wurde immer schneller. Als er schließlich das Tor passiert hatte, begann er zu laufen. Er achtete nicht auf die beiden Palastwachen, die ihm voller Verwunderung hinterherstarrten. Er achtete nicht einmal darauf, dass er vergessen hatte, seinen Umhang umzulegen und andere Schuhe anzuziehen. Das alles war ihm jetzt vollkommen gleichgültig. Er konnte an nichts anderes mehr denken als an den heiligen Stein. Der Gedanke an diese Kostbarkeit trieb ihn an und verlieh seinen Schritten förmlich Flügel.
Hoffentlich hat Saddin noch den Stein der Fatima, dachte Ahmad und überlegte, wie er es anstellen sollte, dem Nomaden den Stein abzukaufen. Er wäre ohne Weiteres bereit, seinen ganzen Besitz, sogar seine Stellung und seinen Namen für den Stein der Fatima zu opfern, wenn es sein musste. Wenn er es jedoch geschickt anfing, würde das unter Umständen nicht nötig sein. Es kam nur darauf an, den Nomaden nicht spüren zu lassen, wie viel ihm dieser Stein bedeutete. Und wenn diese wertvolle Reliquie bereits einen Käufer gefunden und sie nun in der Hand eines Diebs oder gar eines gefürchteten Mörders war? Was sollte er in so einem Fall tun? Sich mit einer Diebesbande einlassen? Sein Magen hob und senkte
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