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Die Steine der Fatima

Die Steine der Fatima

Titel: Die Steine der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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sich bedenklich.
    »O Allah, ich flehe dich an«, murmelte Ahmad unglücklich vor sich hin. »Lass es bitte noch nicht zu spät sein!« Und er beschleunigte seine Schritte abermals.

    Keuchend und mit letzter Kraft erreichte Ahmad schließlich die Zelte des Nomaden. Jedes Mal, wenn er hier vor den Toren der Stadt stand und die Zelte vor sich erblickte, war er aufs Neue überrascht, wie groß und zugleich schön Saddins Lager war. Es hatte nichts gemein mit den primitiven, aus schmutzigen und schlecht gegerbten Häuten gefertigten Unterkünften, von denen seine Mutter immer gesprochen hatte. Als er noch ein kleiner Junge war, hatte sie ihm oft von den Nomaden erzählt. Er hatte diese Geschichten geliebt. Und sooft sie sie auch erzählte, so oft lauschte er gebannt jedem einzelnen Wort. Während ihm angesichts der geschilderten Umstände Schauer des Ekels und des Grauens über den Rücken liefen, pflegte seine Mutter verächtlich mit der Zunge zu schnalzen und geringschätzig die Nase zu rümpfen. Sie hielt nicht viel von den Männern, Frauen und Kindern, die keine feste Bleibe hatten, ihr Leben damit verbrachten, von Stadt zu Stadt, von Oase zu Oase zu ziehen und dabei ihr kärgliches Dasein mit niederen Hilfsarbeiten, Diebstahl und Betrug fristeten. Nomaden seien arm, schmutzig und ungebildet und auf keinen Fall der passende Umgang für einen Spross der edlen und angesehenen Familie Yahrkun. Das war das Fazit, das seine Mutter in ihren Erzählungen zog. Manchmal, wenn Ahmad voller Staunen vor Saddins Zelten stand, war er selbst verblüfft und beschämt, wie tief die Worte seiner Mutter noch immer in ihm hafteten – und wie wenig sie mit der Wirklichkeit übereinstimmten.
    Saddins Zeltlager bestand aus mehr als hundert Zelten und war eigentlich eine Stadt für sich, eine Stadt aus niedrigen, runden, in der Mitte spitz nach oben zulaufenden Häusern. In dieser Stadt lebten Diener und Viehtreiber mit ihren Familien, Huf- und Silberschmiede, Sattler, Töpfer und Weber. Die Zelte waren schlicht und unscheinbar und man hatte fast den Eindruck, dass sie mit ihrer Umgebung, dem Sand und dem Lehm, verschmolzen. Einige von ihnen waren so groß, dass spielend fünfzig oder mehr Männer in ihrem Inneren Platz gefunden hätten, andere waren eher klein und bescheiden. Und sogar die Kamele und Pferde wurden nachts in Zelten untergebracht. Das alles machte einen ebenso wohlgeordneten Eindruck wie jedes andere Dorf oder jede beliebige Stadt.
    Der einzige Unterschied bestand darin, dass hier die Häuser nicht aus gebrannten Lehmziegeln errichtet waren, sondern aus Baumwolle, Leinen und gegerbtem Leder.
    Keuchend hielt Ahmad sich seine linke Seite. Sie schmerzte, als würde jemand ihm mit jedem Atemzug glühende Spieße hindurchtreiben. Der Schweiß lief ihm über das Gesicht, und seine Kleidung klebte nur noch am Körper. Erschöpft wankte er die staubigen Straßen entlang, die sich im Laufe der Zeit zwischen den Zelten gebildet hatten. Auf seinem Weg sah er Frauen, die Brot auf seltsamen ofenartigen Tonkrügen backten, sich unterhielten oder ihre Kinder wuschen. Es waren schöne Frauen mit braun gebrannter Haut, schwerem Silberschmuck an Hand- und Fußgelenken, in farbenfrohe Gewänder gehüllt. Als sie Ahmad bemerkten, verbargen sie hastig ihre Gesichter hinter ihren breiten Kopftüchern oder verschwanden im Inneren eines Zelts. Es dauerte eine ganze Weile, bis Ahmad endlich einem Mann begegnete. Der Alte saß vor seinem Zelt auf dem Boden und bearbeitete gerade ein Stück Leder mit einer Ahle.
    »Der Friede Allahs sei mit Euch, guter Mann!«, begrüßte Ahmad den Mann. »Entschuldigt die Störung. Ich möchte mit Saddin sprechen. Wisst Ihr vielleicht, wo ich ihn finden kann?«
    Der Mann sah von seiner Arbeit auf. Er musterte Ahmad mit so viel Misstrauen, dass ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er in dieser Zeltstadt ein Fremder, ein Eindringling war. Sein Name, seine Stellung als Großwesir hatten hier überhaupt nichts zu bedeuten. Wie alle Nomaden, so waren auch diese Menschen niemandem außer ihrem eigenen Stammesfürsten verpflichtet. Nicht einmal Nuh II. ibn Mansur hätte das Recht gehabt, diesem einfachen Mann, der dort im Staub saß und seine Arbeit verrichtete, einen Befehl zu erteilen.
    »Dort hinten«, antwortete der Mann nach einer Weile ohne übertriebene Freundlichkeit. »Bei den Pferden.«
    Ahmad dankte höflich und folgte dann so schnell seine wunden Füße es erlaubten

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