Die steinerne Pest
Sie?« fragte Mike. Ihm war natürlich eine
ganze Menge aufgefallen, aber er hatte das Gefühl, daß
Trautman auf etwas ganz Bestimmtes hinauswollte. Der
alte Seemann zögerte eine ganze Weile, bis er schließlich
mit einem angedeuteten Achselzucken sagte: »Leider
konnte ich mir das Schiff nicht aus der Nähe ansehen, aber
was ich von oben erkennen konnte und nach dem, was du
mir erzählt hast, scheint es sich wohl um einen ganz
normalen Frachter gehandelt zu haben. «
»Stimmt«, sagte Mike, aber Trautman schüttelte den
Kopf.
»Eben nicht. Ein Teil der Logbucheintragungen scheint
verschlüsselt zu sein, aber ich kenne mich glücklicherweise ein wenig mit solchen Dingen aus, und ich fahre
lange genug zur See, um auch so zu erkennen, wenn etwas
nicht das ist, was zu sein es vorgibt. Dieses Schiff war
alles, nur kein ziviler Frachter, der Eisenerz oder Kohle
transportiert hat. «
»Und was dann?« wollte Ben wissen. Er beugte sich gespannt vor, und auch Mike fühlte eine immer stärker
werdende Neugier, aber er war auch etwas beunruhigt.
Trautman gehörte normalerweise nicht zu den Menschen,
die es genossen, eine Sache so spannend wie möglich zu
machen. Wenn er jetzt so zögerte, mit der Wahrheit
herauszurücken, mußte er einen besonderen Grund dafür
haben.
»Wenn sich mein Verdacht bestätigt«, sagte er schließlich, »dann war es ein deutsches Spionageschiff. Zwar
getarnt als britischer Frachter und mit perfekt gefälschten
Papieren, aber trotzdem ein Boot, das im Auftrag des
Kaiserreiches unterwegs war. « »Hoppla«, sagte Ben. Sein
Gesicht verdüsterte sich. Der Krieg, der nun schon seit
Jahren tobte und ihnen allen die Heimat und sogar einen
Freund genommen hatte, berührte die NAUTILUS und
ihre Besatzung normalerweise nicht. Nur Ben konnte es
manchmal nicht lassen, sie alle daran zu erinnern, daß er
zu einer der beteiligten Parteien gehörte und der Meinung
war, daß die Neutralität, die die Besatzung der
NAUTILUS feierlich geschworen hatte, für ihn vielleicht
nicht hundertprozentig galt. Aber zu Mikes Erleichterung
enthielt er sich jeden weiteren Kommentars, sondern sah
Trautman nur aufmerksam an und wartete darauf, daß er
weitersprach. Trautman aber starrte nur mit finsterem
Gesicht ins
Leere. Schließlich war es Serena, die das Schweigen
brach. Sie räusperte sich und fragte: »Und was bedeutet
das nun für uns?« »Nichts Gutes, fürchte ich«, antwortete
Trautman mit einem tiefen Seufzen. Er versuchte zu
lächeln, was ihm nicht wirklich gelang, aber als er
weitersprach, klang seine Stimme wieder etwas kräftiger:
»Ich werde euch einfach erzählen, was ich in dem
Logbuch gefunden habe«, sagte er. »Immer vorausgesetzt,
ich habe es richtig entziffert. Das Wasser hat die Seiten
stark beschädigt, so daß ich etliches nur erraten konnte.
Aber es scheint, als wäre der Frachter vor vier oder fünf
Tagen mit dem fremden Schiff kollidiert. «
»Zusammengestoßen?« ächzte Chris. »Aber dann hätten
sie doch auf der Stelle versteinert werden müssen!«
Trautman machte eine verneinende Bewegung. »Sie haben
es wohl nur gestreift«, sagte er. »Nicht heftig genug, um
den Frachter zu beschädigen. Und vermutlich nicht lange
genug, damit die unheilvolle Wirkung des fremden
Schiffes sofort auf die Besatzung übergreifen konnte. «
»Aber stark genug, daß das fremde Schiff seinen Kurs
geändert hat«, vermutete Juan.
Trautman nickte. Er schlug das Logbuch des Frachters
an einer Stelle auf, die er mit einem weißen Papierstreifen
markiert hatte. Es war nicht der einzige Streifen dieser
Art. Mike sah, daß er mindestens ein Dutzend dieser
weißen Zettel zwischen die Seiten geschoben hatte und
einige vor der Stelle, auf die er nun deutete. Trautman
mußte das Logbuch sehr gründlich studiert haben. »Ich
werde es euch vorlesen«, sagte er. »Hier ist die erste
Eintragung.
Dienstag, 5. März: In den frühen Vormittagsstunden sind
wir mit einem schwimmenden Objekt zusammengestoßen,
das unversehens auf dem Meer auftauchte. Der Erste Maat
und der Küchenjunge trugen dabei leichte
Verletzungen davon, und es kam zu etlichen Beschädigungen durch umfallende Möbelstücke und losgerissene
Gegenstände. Das fremde Objekt - ich werde es in Ermangelung einer besseren Bezeichnung bis auf weiteres
als »Schiff« bezeichnen - ist sehr sonderbar; das schlechte
Wetter und die nach dem Zusammenstoß an Bord ausgebrochene Panik machten eine genaue Inspektion im ersten
Moment unmöglich, doch es ist
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