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Die steinerne Pforte

Die steinerne Pforte

Titel: Die steinerne Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Prevost Andre
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Pergamente die Sonne mit ihren sechs Strahlen, um die herum Zahlen notiert waren. Ein maßstabgerechter Plan! Der Vogt versuchte, dem Geheimnis des Sonnensteins auf die Spur zu kommen, so viel stand fest! Mit zitternden Knien ging Sam um den Schreibtisch herum und setzte sich in den Sessel vor dem aufgeschlagenen alten Zauberbuch, mit dem Klugg gerade arbeiten musste. Die Seiten waren voller unverständlicher Symbole, zeigten unter anderem aber auch ungefähr ein Dutzend Skizzen von dem Stein – an unterschiedlichen Orten: an einem Tempel – griechisch? –, neben einem Baumstumpf, einem Felsen an der Flanke eines Hügels, am Fuß einer Statue im Stile derer auf den Osterinseln und so weiter. Ein ganzer Katalog von Sonnensteinen! Samuel holte tief Luft und versuchte, Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Er überflog das Blatt vor ihm, auf dem ein paar Worte in Großbuchstaben notiert waren. Eine lateinische Übersetzung, vermutete er, eine Passage aus dem alten Zauberbuch:
    SI QUIS SEPTEM CALCULOS COLLEGERIT, SOUS
    POTIETUR.
    SI EEEECEREE UTSEX RADII EULGEANT, COR EJUS
    EEMPUS RESOEVET.
    ’ EUM PERPETUUM AESTUM COGNOSCE E
    Die rote Tinte war noch frisch – der Vogt musste eben erst seine Arbeit unterbrochen haben, um am Empfang teilzunehmen. Samuel verfluchte den Simultandolmetscher in seinem Kopf, der ihm nur erlaubte, die Sprache in Brügge zu verstehen. Er hätte Lilis Beispiel folgen sollen, die sich von ihrer Mutter hatte überreden lassen, Latein zu nehmen – noch eine Marotte seiner Tante. Wie dem auch sei, der Text schien wichtig zu sein: Er nahm das Blatt und ließ es in seiner Jacke verschwinden, um es sich später genauer anzusehen. Dann blätterte er in dem alten Zauberbuch. Darin ging es nicht nur um den Sonnenstein, sondern auch um Monster und geheimnisvolle Gegenstände, die man, den Abbildungen nach zu schließen, in jener Zeit anscheinend für magische Rituale benutzte: eine Fledermaus mit dem Gesicht eines Kindes, ein ausgestopfter Vogel, der mit den Flügeln schlug, ein Ofen wie der im Laboratorium. Ein mit Edelsteinen besetzter knotiger Stock . . .
    »Lehrreich, nicht wahr?«
    Die Frage platzte in seine Gedanken, als hätte jemand in seinem Nacken einen Knallkörper gezündet. Er hatte weder etwas gesehen noch jemanden kommen hören! Als er sich wie erstarrt umdrehte, fand er sich Auge in Auge mit dem Vogt wieder, der mit einem Dolch in der Hand hinter ihm stand. Seltsamerweise sah er überhaupt nicht wütend, sondern im Gegenteil, sehr zufrieden aus.
    »Ich habe mich gefragt, warum du wohl den großen Saal verlassen hattest. Oder vielmehr, nein, ich musste es mich gar nicht fragen . . .«
    Er zeigte auf eine Holztafel unter einem der Regale, die sich durch eine Drehung geöffnet hatte und offenbar in einen dunklen Gang führte.
    »Der Prinsenhof hat seine kleinen Geheimnisse, genau wie du. Du weißt, wie man den Mechanismus der Sonne bedient, nicht wahr? Mit seiner Hilfe bist du an jenem Tag aufgetaucht, um Baltus zu verteidigen?«
    Samuel war unfähig zu antworten. Er starrte ihn nur mit offenem Mund an, ohne eine Silbe herauszubringen.
    »Du warst es auch, der gestern bei dem Bankier Grimaldi war? Ich weiß es, er hat mir deine hässliche Fratze beschrieben . . . Du wolltest dir die drei Pfund unter den Nagel reißen, nicht wahr?«
    Klugg zog ein Blatt Papier aus seinem Wams und schwenkte es vor Sams Nase.
    »Na, erkennst du es wieder? Schade, dass Grimaldi, der alte Fuchs, dich nicht gleich erwischt hat, dann müsste ich jetzt nicht. . .«
    Den Rest ließ er offen, als wollte er sein Opfer noch ein wenig zappeln lassen. Dabei zitterten seine Nasenflügel auf eine seltsame Art, und der gelbliche Schimmer in seinen Augen gefiel Sam ganz und gar nicht.
    »Weißt du, wie lange ich mich schon mit der Sonne beschäftige?«
    Sam deutete ein Kopfschütteln an.
    »Vor mehr als einem Jahr habe ich von dieser seltsamen Gravur auf dem Friedhof am Alten Wald erfahren. Auf einem uralten Grab, von dem man behauptet, es wäre schon vor dem Friedhof dort gewesen. Du weißt, wie das ist mit solchen Legenden . . . An dem Tag jedenfalls, als ich dorthin kam, wurde gerade Baltus’ Frau beerdigt. Da habe ich Yser zum ersten Mal gesehen. Zwei Sonnen an ein und demselben Ort, das konnte kein Zufall sein . . .«. Er blätterte abwesend in den Seiten des Zauberbuches.
    »Kennst du den Ursprung des Wortes ›Alchemie‹, mein Junge? Nein, natürlich nicht. Es kommt von dem hebräischen Wort für die Sonne,

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