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Die steinerne Pforte

Die steinerne Pforte

Titel: Die steinerne Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Prevost Andre
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gewürzten Glühwein ausschenkten. Plötzlich ging ein Raunen durch die Menge: Philipp der Gute, in rot schimmerndem Mantel, hielt inmitten seiner Berater majestätisch Einzug -darunter in der dritten Reihe auch der Vogt.
    »Jetzt!«, flüsterte Yser.
    Samuel tat so, als ob er die Gemälde betrachte, und bewegte sich dabei zielsicher zum anderen Ende des Saales, den heißen Glühweinbecher in der Hand. »Liebe Freunde«, verkündete der Graf mit liebenswürdiger Stimme, »seid willkommen im Prinsenhof! Ich bin sicher, die Bildermacher von Brügge haben wahre Wunder vollbracht. Lasst uns also die Porträts anschauen. Der Wettbewerb beginne!«
    Seine Worte wurden mit lautem Beifall aufgenommen. Sam nutzte den Moment, um durch die halb geöffnete Tür zu schlüpfen.
    »Die sind jetzt eine Weile beschäftigt«, wisperte Friedrich. »Komm!«
    Sie folgten einer Reihe von Gängen, die den Domestiken vorbehalten waren, bis sie an dem Turm waren, der eine Ecke des Palastes bildete.
    »Hier wohnt der Vogt«, erklärte Friedrich. »Die Treppe nach unten führt in die Küchen, die nach oben zu den Wohnungen und zum Laboratorium.«
    »Wird uns auch niemand begegnen?«
    »Alle sind mit dem Empfang beschäftigt, selbst der Vogt.«
    »Und wie kommen wir ins Laboratorium?«
    Friedrich hielt einen eisernen Ring hoch, an dem ein ziemlich großer Schlüssel hing.
    »Großartig! Du bleibst am besten hier, um mich zu warnen, falls Gefahr droht«, schlug Sam vor.
    »Soll ich nicht lieber mitkommen?«
    »Wenn sie uns beide erwischen, nützt uns das auch nichts! Es ist besser, wenn du hier Wache stehst, das ist sicherer. Gibt es einen Ort, wo wir uns verstecken können, wenn etwas dazwischenkommt?« »Das Stockwerk über dem Laboratorium, in der Turmspitze.«
    »Gut. Wenn jemand auftaucht, läufst du so schnell wie möglich zu mir, und wir verstecken uns da oben. Wenn wir Glück haben, wird uns niemand bemerken.«
    »Und wie willst du das mit dem Beweis anstellen?«
    »Das schaffe ich schon, außerdem muss ich mir selbst auch etwas wieder holen.«
    Samuel huschte die Treppe hinauf. Auf dem zweiten Absatz steckte er den Schlüssel in das große Schloss, das die Form eines Wolfsmauls hatte. Laut knarrend schwang die Tür auf. Der Raum war nicht so dunkel, wie er es sich vorgestellt hatte. Durch zwei relativ große Fensteröffnungen fiel das Tageslicht herein. In dem runden Turmzimmer herrschte ein unbeschreibliches Durcheinander von Büchern, Glasflaschen, vor Pergamenten überquellenden Tischen, ausgestopften Vögeln, seltsamen Holzschnitten. Metallinstrumente hingen wie verrostete Würste von der Decke, und über allem lag ein durchdringender verbrannter Geruch – das war aber auch die einzige Gemeinsamkeit mit Baltus’ Atelier. Gegenüber dem Kamin befand sich ein Ofen, an dem Klugg vermutlich seine Experimente durchführte. In den Regalen standen eine Art Destillierapparat, Töpfe mit Kräutern und Pudern und Glasgefäße mit kleinen, getrockneten oder in eine grünliche Flüssigkeit eingelegten Tieren – Mäuse und Eidechsen. Sam versuchte, sein mageres Wissen über Alchemie hervorzukramen: Er hatte vom Stein der Weisen gehört – dank Harry Potter –, von der Herstellung von Gold aus Blei oder Quecksilber – so genau wusste er das nicht mehr – das war aber auch schon alles. Er würde sich auf seinen Instinkt verlassen müssen . . .
    Der etwa hüfthohe, aus Ziegelsteinen gemauerte Ofen strahlte eine angenehme Wärme aus. Der untere Teil war noch rot von der heißen Glut, und im oberen Teil, einer Art Keramikbecken, fand sich ein ovales Gefäß, das beinahe unter der heißen Asche verschwand. Wurde so Gold hergestellt? Obwohl im ganzen Labor nichts davon zu sehen war ... Er öffnete eine große Truhe unter dem ersten Fenster und stieß auf den Vorrat an Metallstücken und Medaillen, von dem Friedrich erzählt hatte. Anscheinend handelte es sich um Originalentwürfe von mehr oder weniger vollendeter Form, an denen man die verschiedenen Stadien von Kluggs Versuchen in der Metallurgie ablesen konnte. Er erkannte sogar die gewundenen Äste, die als Vorlage für Ysers Kerzenständer gedient hatten. Aber keine einzige Münze.
    Also setzte er seine Suche auf dem Schreibtisch neben dem zweiten Fenster fort. Mit einem Mal merkte er, wie sich sein Pulsschlag beschleunigte: Nachlässig über den Büchern verstreut lag ein Haufen Skizzen des Sonnensteins! Grobe Zeichnungen des Grabsteins aus unterschiedlichen Perspektiven und auf einem der

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