Die Steinernen Drachen (German Edition)
preisgab, von dem sie nichts wissen konnte. Er mahnte sich zur Vorsicht. War es ihr nur peinlich, dass sie sich verplappert hatte oder steckte mehr dahinter? Das Gespräch kam zum Erliegen und sie tranken schweigend ihren Kaffee.
„Wann musst du arbeiten?“, fragte sie schließlich, um der Stille zu trotzen.
„Erst ab sechs.“
„Wollen wir ein bisschen herumfahren und das gute Wetter genießen? Wer weiß, wie lange sich der Sommer noch hält?“, schlug Ilka vor. Er konnte sich nicht erklären, warum er zustimmte - vielleicht, weil Ilka ihn von der schmerzlichen Sehnsucht nach Lea ablenkte. Die Sonne schaffte es, die Temperatur noch einmal auf 25 Grad klettern zu lassen. Der Himmel zeigte ein wolkenloses Blau.
Der Fahrtwind wirbelte in ihrem lockigen Haar und hinterließ eine Gänsehaut auf ihren Unterarmen – ein Anblick, der ihn erregte. Der Mazda MX 5 zog schnittig um die engen Kurven. Ilka hatte den Wagen gut im Griff und spielte mit dem drehfreudigen Motor. Sie fuhren auf kurvigen Straßen durch den Schwäbischen Wald. Das mäßige Verkehrsaufkommen an diesem Donnerstagvormittag kam ihrer rasanten Fahrweise entgegen. Die verwaist wirkenden Dörfer und Gehöfte, durch die sie kamen, flogen wie zerrissene Fragmente eines impressionistischen Bildes von Claude Monet an ihnen vorbei. Die ausschweifenden Wälder zeigten sich bereits in geheuchelt schönen, leuchtenden Herbstfarben. Spätestens in sechs Wochen würde die farbige Pracht einem düsteren Grau weichen, doch in diesem Augenblick erstrahlte sie in verschwenderischem Zauber.
Frank wurde von der betörenden Idylle angesteckt und lachte ausgelassen mit der attraktiven Frau, die ihn spazieren fuhr. Sein Plan, Lea für ein paar Stunden aus dem Kopf zu bekommen, schien aufzugehen. Das von Sehnsucht geschürte Verlangen wandelte sich zu einem angenehmen Prickeln, das keine Seelenschmerzen mehr
bereitete. Diese Augenblicke der totalen Losgelöstheit bezeichnete er als seine perfekten Momente. Da sie selten waren, lebte er sie bewusst und intensiv. In einem kleinen Gasthaus, irgendwo zwischen Welzheim und Rudersberg, nahmen sie das Mittagessen ein und liefen danach Hand in Hand um den Ebnisee.
Sie fühlten sich ungestört. Das dunkle Wasser spiegelte den blauen Himmel und die bunten Laubbäume wider. Auf dem See waren drei Tretboote unterwegs und während ihres Spaziergangs um das Gewässer herum, begegneten ihnen nur vereinzelt Ausflügler in gesetztem Alter und Touristen aus Norddeutschland oder Holland. Unter den rot-weiß gestreiften Sonnenschirmen auf der Terrasse des Gasthauses bei der Bootsanlagestelle saßen nur wenige Gäste. Für einen Außenstehenden wirkten sie in dieser trauten Zweisamkeit wie ein verliebtes Paar. Sie redeten wenig, genossen einfach die Ruhe und das Hier und Jetzt. Selbst der Hauch eines schlechten Gewissens, der in periodischen Schüben durch seinen Kopf wehte, verdarb ihm die ausgelassene Stimmung nicht. Es war ihm klar, dass er Ilka etwas vormachte. Er war in keiner Weise so in sie verliebt, wie er es in diesem Augenblick vorgab zu sein. Das gute Wetter und die Idylle des Naturparks verfälschte die seelische Perspektive. Doch darüber wollte er nicht nachdenken, genauso wenig wie über Lea.
„Liebst du sie?“, fragte Ilka plötzlich, als ob sie bereits
zum zweiten Mal an diesem Tag seine Gedanken lesen würde.
Zuerst war er verärgert, weil sie schon wieder damit anfing. Doch dann, nachdem er die klare Luft tief in seine Lungen gesogen hatte, verflog der Unmut, wurde weggeweht wie Blütenpollen im Sommerwind. „Ich bin mir nicht sicher, ... ich denke, ja. Sie bringt meine Gefühlswelt durcheinander. Wenn sie mir gegenübersteht, komme ich aus dem Gleichgewicht. Ich denke, das ist Liebe.“
Seine Antwort war schnörkellos und ehrlich. Ilka wirkte nicht gekränkt, oder sie verstand es geschickt zu verbergen.
„Woher kommt sie?“
„Laos.“
„Laos?“, wiederholte sie. „Ich dachte, sie sei Chinesin?“
„Spielt das eine Rolle?“
„Nein.“
Inzwischen hatten sie den See zur Hälfte umrundet. Der Weg wurde schmaler und sie presste ihren Körper eng an den seinen, damit sie weiter nebeneinander auf dem unebenen Pfad laufen konnten. „Seit wann lebt sie in Deutschland?“
„Ich weiß nicht.“
„Wie, du weißt nicht. Redet ihr nicht miteinander?“
Schnell flammte sein Ärger auf. Er glaubte zu ahnen, was Ilka dachte. Erst kürzlich hatte er auch mit diesen Vorurteilen gehadert. Lea, sein
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