Die steinernen Schatten - Das Marsprojekt ; 4
Kindes und so weiter . . . Na ja.« Ihr Blick umflorte sich. »Eine Siedlergruppe ist dann tatsächlich mit ihnen zum Mars zurückgekehrt. Das Raumschiff war die RELIANCE, daran erinnere ich mich noch. Sie hat auch die zwei Rover mitgebracht, die gefehlt hatten, um endlich die Expedition in die Cydonia-Region durchführen zu können . . .«
Sie brach ab, bedeckte die Hände mit den Augen, weinte leise. Ariana schluckte. Von dieser Expedition war der Vater von Carl und Elinn nicht mehr zurückgekommen.
Vielleicht, dachte Ariana, war es besser, man liebte niemanden und bekam keine Kinder. Man musste dann doch nur Angst haben, sie zu verlieren, oder?
Wim Van Leer beeilte sich. Es war nur noch eine halbe Stunde bis zum Start, Leute wimmelten um das Flugzeug herum, und ob er zu den Bildern kam, die er brauchte, kümmerte keinen Menschen.
Ronny war zum Glück ein dankbares Motiv. Der Junge war sonst eher lebhaft und aufgedreht, aber sobald es ums Fliegen ging, wurde er die Ruhe selbst. Die Kamera beachtete er überhaupt nicht. Voll konzentriert hörte er den Männern zu, die ihm die Funktionsweise der neu eingebauten Geräte erklärten und die Satellitenbilder mit der Wettervorhersage für die kommenden fünf Stunden. So lange würde der Flug etwa dauern.
»Ronald Penderton, genannt Ronny, hat bereits einmal Luftfahrtgeschichte geschrieben, als er vor fünf Monaten als erster Mensch ein Flugzeug auf einem anderen Planeten von Hand steuerte.« Das war ein provisorischer Kommentar, der über eine geschützte Audioverbindung direkt in den Speicher der Kamera ging und den niemand hörte. In der Nachbearbeitung würde er das alles ohnehin noch mal neu unterlegen; es kam ihm jetzt nur darauf an, spontane Eindrücke festzuhalten. »Dieser Flug, der unter anderem dazu führte, dass die sogenannten Blauen Türme in der Daedalia-Planum-Region entdeckt wurden, geschah ohne Wissen und Billigung der zuständigen Stellen, im Klartext: Ronny und seine Freunde haben damals das Marsflugzeug entwendet und sind auf eigene Faust losgeflogen. Eine eindeutige Beurteilung dieser Aktion fällt schwer. ›Sträflicher Leichtsinn‹ ist man versucht zu sagen. Wie leicht hätte etwas Schlimmes passieren können! Ja, gewiss. Auf der anderen Seite wären wir heute nicht mehr auf dem Mars, wenn die Kinder sich brav an die Vorschriften gehalten hätten.«
Okay, und jetzt noch ein paar Schwenks über das Lager rund um den Westturm. »Was unabhängig von all dem bleibt, ist die bemerkenswerte fliegerische Leistung des damals Zwölfjährigen. Der Internationale Verband der Motorflieger hat alle verfügbaren Daten eingehend geprüft und Ronny die Ehrenmitgliedschaft verliehen. Er ist damit das jüngste Mitglied des Verbandes und das einzige, das keinen regulären Flugschein besitzt. Denn den dürfte er frühestens mit sechzehn Jahren machen.«
Noch zwanzig Minuten. Van Leer musterte das Flugzeug. Ein dramatisches Bild, allein wie es dastand, mit diesen gewaltigen Flügeln. Wie riesig es wirkte und wie zerbrechlich zugleich! Er brauchte eine geeignete Perspektive, um sowohl die letzten Vorbereitungen als auch den Start selber zu filmen . . .
Schließlich fand er in einiger Entfernung, dicht an der Felskante, die optimale Stelle für sein Stativ. Er schraubte die Kamera darauf und stellte sich mit beleuchtetem Helm in Positur.
»Guten Tag, meine Damen und Herren. Mein Name ist Wim Van Leer. Ich bin Reporter für alle großen Nachrichtennetze und ich berichte heute, wie unschwer zu erkennen ist, vom Mars.« Das würde er an den Anfang schneiden. Kein origineller Einstieg, aber bewährt. »Bis vor fünf Monaten wussten nur Fachleute, dass man auf dem Mars mit Flugzeugen fliegen kann. Die Atmosphäre des Roten Planeten ist ausgesprochen dünn; selbst am Boden ist sie kaum dichter als die hohe Stratosphäre der Erde. So ist es nicht weiter erstaunlich, dass die Asiatische Allianz, als sie hier 2083 eine eigene Station errichtete und mit einem unbemannt arbeitenden Forschungsflugzeug ausstattete, sich dabei an einem legendären Stratosphärenflugzeug orientierte, nämlich der Taylor-Benn-Strato, einem solargetriebenen Forschungsgleiter aus den dreißiger Jahren. Die Spannweite der Flügel, die ein speziell für die Marsatmosphäre entwickeltes Profil besitzen, beträgt mehr als hundert Meter. Zwei methangetriebene Turbinen treiben den Motor und die beiden großen, dreiflügeligen Propeller an den Auslegern über den Flügeln an, die Sie hinter mir sehen.
Weitere Kostenlose Bücher