Die steinernen Schatten - Das Marsprojekt ; 4
ehrlich war.
Es ging immer weiter, rasend schnell. Und nicht nur das: Obwohl es nach Marszeit noch nicht annähernd Mittag war, wurde es vor ihm allmählich dunkel! Er bewegte sich mit atemberaubender Geschwindigkeit in eine Dämmerungszone hinein, die hier frühestens in acht Stunden hätte auftauchen dürfen. Wie war das möglich? Kurze Antwort: überhaupt nicht.
Ronny spähte über das Instrumentenbrett nach vorn und blies die Backen auf, während er nachdachte. Das erinnerte ihn an etwas, wenn er das so sah: die dahinrasende Landschaft, die nutzlose Steuerung. Man konnte den Simulator in den sogenannten Fast-Forward -Modus schalten, dann sah es genauso aus.
Am Ende erlebte er das gar nicht wirklich. War das hier womöglich nur eine Art Simulation? Musste man sich schon fragen. Obwohl ihm alles absolut realistisch vorkam.
Doch im nächsten Moment hörte Ronny auf, sich derartige Fragen zu stellen. Denn vor ihm, in der rubinroten Dämmerung, unter einem Himmel von metallenem Violett, entdeckte er etwas, das ihm schlicht die Sprache verschlug.
Eine Stadt. Dort, wo sich dem Navigationsgerät zufolge das Melas Chasma hätte befinden müssen, ein Canyon voller Steintrümmer, so weit das Auge reichte und die breiteste Stelle der Valles Marineris, erstreckte sich eine schimmernde, lichtdurchflutete Stadt von unfassbarer Fremdartigkeit.
Ronny kannte Bilder und Filme von irdischen Städten. Doch so etwas wie das hier hatte er noch nie gesehen. Er sah Türme mit glühenden Spitzen zwischen stahlbleichen Kuppeln aufragen und sich in unsichtbaren Winden wiegen. Kolossale Gebäude standen da auf weiten Plätzen, untereinander durch flache, halb transparente Röhren verbunden, in denen sich Schatten und Lichter bewegten. Bizarre Gestänge aus farbig glänzendem Metall überspannten Wege, Plätze, Häuserschluchten. Die ganze Stadt schien zu pulsieren, war ohne jeden Zweifel von Leben erfüllt.
Doch es war eine Lebendigkeit, die einen mit tiefem Entsetzen erfüllte, ohne dass man einen Grund dafür hätte benennen können. Die gewaltige Stadt strahlte Verlockung aus und zugleich namenlosen Schrecken, war von betäubender Schönheit und gleichzeitig erfüllt von etwas so Furchtbarem, dass die Sprache kein Wort dafür hatte.
Ronny fühlte eine seltsame Lähmung von ihm Besitz ergreifen. Er hatte die Hand nach dem Schalter des Koms ausgestreckt, spürte wie nie zuvor den Drang, mit jemandem zu reden, eine menschliche Stimme zu hören, doch etwas Unsagbares raubte ihm die Kraft, die Sprache, die Hoffnung, sickerte in ihn ein und erfüllte ihn mit schrecklicher Kälte.
Auf einmal war er sich sicher, verloren zu sein.
Immer weiter ging es, immer weiter. Die Stadt kam näher, wurde breiter, war unter ihm und wurde immer noch größer. Nun erblickte er auch Fluggeräte, große und kleine, die ihren Bahnen folgten, ohne ihn zu behelligen. Es waren dunkel schimmernde, knollige Gleiter, die aussahen wie fliegende Kartoffeln – doch nichts an ihnen war so, dass man auf die Idee gekommen wäre zu lachen. Sie strahlten eine Fremdartigkeit aus, die einen bis ins Mark berührte.
Verloren , schoss es Ronny wieder und wieder durch den Sinn. Er war verloren. So schrecklich sicher war er sich, dass sein letztes Stündlein geschlagen hatte, dass er außerstande war, sich noch zu fürchten.
Plötzlich erkannte er ein Muster in der Anlage der Stadt: breite Wege, die sternförmig auf etwas zuliefen, das nur das Zentrum sein konnte. Auch er selbst bewegte sich darauf zu, ohne es jedoch schon sehen zu können. Seine Hand am Steuerhebel war zu Eis erstarrt, sein Körper wie betäubt. Selbst seine Augäpfel fühlten sich an, als wären sie von Raureif überzogen.
Endlich tauchte es vor ihm auf, das Zentrum, das lodernde Herz der Stadt. Ein gewaltiger freier Platz, kreisrund, in dessen Mitte . . .
Ein Stöhnen entrang sich seiner Kehle. Sechs blaue Türme standen da, bildeten ein gleichmäßiges Sechseck in der Mitte des Platzes. Etwas ging von diesen Türmen aus, ein türkisfarbenes Wallen und Wabern. Es strömte auf den Mittelpunkt des Sechsecks zu, wo es sich mit den Ausdünstungen der anderen Türme zu … irgendetwas vereinigte, das sinnverwirrend gleißte und funkelte, als ende dort die Welt, die die Menschen kannten, und als begänne eine neue.
Ariana hatte es nicht mehr ausgehalten in der Medizinischen Station.
Erst hatte Mrs Penderton angefangen zu erzählen, was passiert war, und Ariana hatte nur gedacht: Bitte! Nicht noch eine
Weitere Kostenlose Bücher