Die steinernen Schatten - Das Marsprojekt ; 4
dabei?«
»Schuldig«, bekannte Ariana und auch dieses Wort war ihr wie von selbst über die Lippen gekommen. »Ich fühle mich, als sei ich schuld an allem.«
Er wiegte den Kopf bedächtig hin und her. »Ich glaube nicht, dass man das so sagen kann. Soweit ich sehe, haben sehr viele Dinge zu der Situation, wie sie ist, beigetragen und das, was du getan oder nicht getan hast, ist nur ein Teil davon und auf jeden Fall nicht bedeutend genug, als dass man von Schuld sprechen könnte.«
Sie sah den kleinen Mann an, der kaum größer war als sie selbst. »Okay. Aber am meisten macht mich fertig, dass ich nichts tun kann. Dass ich bloß hier herumsitze und nichts tun kann.«
Sie hatte das schon manches Mal erlebt, doch noch nie so eindrücklich wie diesmal: Kim Seyong sah sie an, während sie sprach, auf eine Weise, die zu bewirken schien, dass ihre Worte zwischen ihnen ins Leere fielen und Stille eintrat. Für einen endlos langen Moment sah sie nur das Schwarz seiner Pupillen und sie wirkten wie unergründlich tiefe Brunnenschächte.
»Man kann nicht immer etwas tun«, sagte Kim Seyong schließlich ruhig. »So ist das Leben nicht. Manches muss man einfach hinnehmen.«
In diesem Moment, an diesem Ort glaubte Ariana zu verstehen, dass er recht hatte.
Noch ehe Ronny den Platz mit den sechs Türmen erreicht hatte, geschah etwas.
Zuerst war da nur eine Bewegung an dem klaren dunkelbraunen Himmel, ein Schatten vor den Sternen. Dann sah er, dass sich ein Raumschiff auf die Stadt herabsenkte, eine Maschine von ungeheurer Größe und gänzlich anderer Gestalt als die Fluggeräte, die Ronny bis jetzt gesehen hatte. Lang gezogen war es, ein schlanker, filigraner Körper von samtenem, mattem Glanz. Es ähnelte der Stadt selbst, schien beinahe wie ein Teil von ihr zu sein, der zurückkehrte, doch besaß das Raumschiff eine völlig andere Ausstrahlung als die Stadt. Wohlwollen schien es zu umhüllen, Güte von ihm auszustrahlen. Und in der Bewegung, mit der es herabsank, meinte man etwas zu lesen wie . . . Trauer. Schmerz. Resignation.
Ich spinne , dachte Ronny.
Die knollenförmigen dunklen Flugmaschinen umschwirrten den Ankömmling erwartungsvoll, ja triumphierend. Es war, als warteten sie nur auf den richtigen Moment, um sich auf ihn zu stürzen wie Raubtiere.
Doch einstweilen geschah nichts, außer dass das schlanke Schiff immer tiefer kam und sich dem Platz mit den sechs Türmen näherte. Von dort stiegen einige größere Flugmaschinen auf, die entlang des Randes geparkt hatten, wie um Platz zu machen für den Neuankömmling . . . die Beute?
Nein. Ronnys Atem ging schwer. Er wusste nicht, was da geschah, nur, dass es schlecht war, abgrundtief schlecht. Dass sich das große Schiff den kleinen ergab und dass das nicht geschehen durfte.
Doch da! Aus einem der nadelspitzen Enden des Raumschiffs zuckte ein Strahl, breit, ungeheuer, heller als hundert Sonnen, bohrte sich in den Grund. Im nächsten Augenblick wölbte sich der Boden empor, zerriss der Platz, zerstoben die blauen Türme in Myriaden von Splittern, die ein Feuersturm davonfegte.
Die dunklen, knollenartigen Flugmaschinen rasten aufgeregt heran, schossen ihrerseits auf das große Schiff, mit nervös flimmernden grünen Blitzen, doch das Raumschiff schoss zurück, spuckte Tod und Verderben. Feuerbahnen schlugen wie Hammerschläge in die Silhouette der Stadt, Blitze wie Axthiebe zermalmten, zerstörten und verbrannten. Kuppeln barsten. Türme platzten. Mauern brachen auseinander. Säulen aus Rauch und Feuer schossen aus dem Untergrund empor, als fräße sich eine Kettenreaktion von Explosionen durch die Anlagen unter der Oberfläche. Innerhalb von Sekunden war alles in Qualm gehüllt. Flammen loderten auf, um in der dünnen Luft des Mars sofort zu ersticken. Trümmer stoben umher wie Schnee, funkelnd, weil sie im Flug noch verbrannten, als griffe die Zerstörung wie von selbst von einem Teil auf das andere über.
Dann, auf einmal, war alles vorbei. Von einem Augenblick auf den anderen fand Ronny sich über den Valles Marineris wieder, die genau so waren, wie er sie kannte, in genau den Umrissen, die die Karte des Navigationsgerätes anzeigte.
Und aus den Kopfhörern drang die heisere Stimme eines Mannes: »Löwenkopf an Marsflugzeug. Ronny, bitte melden. Löwenkopf an Marsflugzeug. Ronny, bitte melden . . .«
17
Eine verblüffende Entdeckung
Pigrato war erleichtert. Das war vielleicht nicht ganz angebracht, da von den zwei anderen Kindern und seinem Sohn nach
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