Die steinernen Schatten - Das Marsprojekt ; 4
Der Mars, wie er eben aus dem Orbit aussah: ein karger rostfarbener Planet, mit Wüsten wie Schlacke, schroffen Bergen und dünnen gelben Wolken, die Staubstürme sein mochten oder auch nicht.
Dann tauchten grüne Vierecke im Bild auf, von einem Bildauswertungsprogramm eingeblendet. Es wurden rasch immer mehr und größer wurden sie auch.
Pigrato hatte schon viele Aufnahmen eigenartiger marsianischer Wetterphänomene gesehen, seit er das zweifelhafte Vergnügen genoss, als Statthalter der Erdregierung hier zu sein. Aber so etwas noch nie. Auf einmal sah der Mars aus, als sei er eine große, gläserne Murmel und bis eben in transparentes Bonbonpapier eingehüllt gewesen, das nun abgezogen wurde und dabei jede Menge Falten warf. Die Markierungen wiesen auf bizarre Spiegelungen hin, Brechungen, Stellen, an denen Konturen der Oberfläche für einige Sekunden lang doppelt, drei- oder vierfach zu sehen waren.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Pigrato.
»Wir denken, dass der Tarnschirm im Begriff ist, sich aufzulösen«, sagte Kommandant Salahi. »Es scheint ein wesentlich größeres Gebilde zu sein, als wir bisher geglaubt haben. Auf alle Fälle war er nicht auf den Löwenkopf beschränkt. Wie es aussieht, hat er den ganzen Planeten eingehüllt, ohne dass wir es bemerkt haben.«
Und wie es aussah, wickelte sich dieser Tarnschirm – oder seine Überreste – jetzt auf, rollte sich zusammen, schlug wild um sich . . .
Pigrato starrte auf den Schirm. Er hatte auf einmal einen metallenen Geschmack im Mund. »Denken Sie, Ronny ist da irgendwie … hineingeraten?«
Salahi holte geräuschvoll Atem. »Denkbar.«
Pigrato sah auf seine Hand hinab, die sich schon wieder von selbst zu einer Faust geballt hatte. Er spreizte die Finger, die dabei schmerzten, und fasste einen Entschluss.
»Geben Sie uns die Koordinaten der letzten Sichtung herunter«, sagte er. »Ich werde eine Suchaktion starten.«
Ronny verstand nicht, was los war.
Zunächst einmal kapierte er nicht, wie das mit dem Raumschiff gelaufen war. Es war auf ihn zugeschossen, direkt auf ihn zu, riesig groß, war immer größer und noch größer geworden, während er hektisch versucht hatte auszuweichen . . .
Und dann plötzlich – nichts. Er hatte die Augen zugemacht, kurz vor dem unausweichlichen Zusammenstoß, doch es hatte keinen Zusammenstoß gegeben. Als er sie wieder geöffnet hatte, war die riesige Maschine weit hinter ihm gewesen. Gerade so, als sei er durch sie hindurchgeflogen.
Das war das eine. Und er kapierte nicht, was jetzt mit ihm und dem Flugzeug passierte. Etwas hatte ihn erfasst, eine Art Wirbel, eine gewaltige, schnelle Strömung, die ihn auf einmal mit unglaublicher Geschwindigkeit davontrug. Er raste dahin, dass es kaum zu glauben war, viel schneller, als möglich war. Selbst ein Flugboot flog nicht derart schnell.
Und er hatte keinerlei Kontrolle mehr über den Gleiter. Das war das Unheimlichste.
Klar, er konnte am Steuerhebel ziehen, und wenn er aus der Kanzel schaute, sah er, wie sich die Ruder und Klappen und so weiter bewegten. Das funktionierte alles. Es hatte bloß überhaupt keinen Einfluss auf die Bewegung des Flugzeugs. Es war, als trage ihn etwas fort. Als habe sich eine riesige Blase um das Flugzeug geschlossen, die sich aus eigner Kraft bewegte und der es ganz egal war, wie er in ihrem Inneren zappelte.
Und kein Funkkontakt natürlich. Immer noch nicht.
Ronny war sich sicher, dass es derart starke Strömungen auf dem Mars nicht gab. Auf der Erde, ja. Da gab es die sogenannten Jetstreams, gewaltige Luftströmungen in der hohen Atmosphäre, in denen Verkehrsflugzeuge bei Flügen über den Atlantik eine Stunde schneller am Ziel sein konnten als normal. Das wusste er aus dem Simulator, wo er eine solche Strecke öfter geflogen war. Auch andere Dinge hatte er im Simulator schon ausprobiert: Flüge im Sturm, durch Regen, Hagel, Feuersbrünste, Nebelbänke und Orkane – alles, was es nur gab. Das war meistens schiefgegangen, vor allem, wenn der Antrieb angefangen hatte zu spinnen . . . Aber so etwas wie das hier war ihm neu.
Das Navigationsgerät schien seltsamerweise noch zu funktionieren. In hektischer Folge projizierte es immer neue Karten auf die Frontscheibe und bisher hatte Ronny nicht den Eindruck, dass die falsch waren. Die Richtung stimmte. Ein bisschen kannte er sich ja schließlich selber aus. In der Ferne konnte er schon das Tharsis-Massiv erkennen. Die drei Vulkankegel waren verwaschene Schatten vor einem
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