Die steinernen Schatten - Das Marsprojekt ; 4
du noch mal nachschauen, ob mit meinen Zuleitungen alles in Ordnung ist?«
»Ja, lass sehen.«
Sie drehte sich um, mühsam, und wartete, während Carl sich alles genau ansah.
»Da ist alles okay«, meinte er schließlich. »Hast du gecheckt?«
»Ja. Alles grün«, sagte Elinn. »Aber ich habe das Gefühl, keine Luft zu kriegen.«
Sie hörte ihn seufzen. »Das ist die Schwerkraft«, meinte er sorgenvoll. »Die verdammte Schwerkraft.«
Elinn sagte nichts. Sie wusste, dass er recht hatte. Ihre Marslungen waren nicht für diesen Planeten gemacht, das war es.
Allmählich musste man sich schon fragen, was sich die Marsianer dabei gedacht hatten, sie hierherzurufen.
»Wir sollten aufbrechen«, sagte sie, fest entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen.
In der Siedlung angekommen, sagte man Ronny, er solle gleich in die Medizinische Station gehen, dort warte man ganz dringend auf ihn. In die Medizinische Station?, wunderte er sich. Wieso das denn? Aber gut, ging er halt dorthin.
Wie sich herausstellte, saßen dort alle Mütter versammelt: Die Mutter von Carl und Elinn, die von Urs, na, und seine Mom auch. Sie nahm ihn vor allen Leuten in die Arme, drückte ihm einen nassen Schmatz aufs Gesicht – was sie sonst nie tat! – und sagte was von wegen, es sei ein gutes Omen, dass er heil zurück sei; bestimmt werde nun alles gut ausgehen.
Ariana war auch da und sie sah ihn genauso komisch an. Einen Moment lang hatte er beinahe das Gefühl, sie würde ihn auch gleich umarmen und abknutschen. Was natürlich Blödsinn war.
»Ich habe gesehen, wie die Valles Marineris entstanden sind«, erzählte er, nachdem ihn seine Mutter endlich wieder losgelassen hatte. »Keine Ahnung, wie das zu erklären ist, ob das eine Zeitreise war oder was anderes, aber jedenfalls war da, wo die Valles sind, flaches Land und darauf eine Stadt, eine riesenhafte Stadt, ihr könnt es euch nicht vorstellen. Ich glaube, die war von fremden Lebewesen bewohnt. Jedenfalls hatte ich das Gefühl. Und im Zentrum war ein großer Platz, auf dem standen sechs blaue Türme! Darauf bin ich zugeflogen. Ich konnte gar nichts dagegen machen, es hat mich einfach dorthin gezogen. Und dann habe ich gesehen, wie ein großes Raumschiff gekommen ist, und das hat die Stadt zerstört. Peng! Womm! Hat alles in die Luft gejagt, mit solchen Strahlwaffen und ungeheuren Explosionen überall . . .«
Er hielt inne, als er merkte, dass ihn alle nur mit großen Augen und fragenden Gesichtern anglotzten. So, als wäre er übergeschnappt.
Ronny räusperte sich und sagte: »Jedenfalls, so sind die Valles Marineris entstanden. Durch einen Angriff aus dem All.«
Sie wechselten verwunderte Blicke. Die Mutter von Carl und Elinn seufzte und meinte: »Hauptsache, du bist heil wieder hier, Ronny.«
Ronny nickte und merkte, wie sich seine Miene wie von selbst verfinsterte. Es war immer das Gleiche: Niemand hörte ihm zu!
Urs haderte mit dem Schicksal. Er setzte die Füße extra hart auf, sodass der Stoß durch den ganzen Anzug ging, aber der Konzentratriegel, der ihm bis auf halbe Höhe vor die Brust gerutscht war, rührte sich nicht mehr vom Fleck. Er schien beschlossen zu haben, dort zu bleiben, wo er maximal störte.
Vielleicht, überlegte Urs, löste er sich ja mit der Zeit auf, wurde nach und nach zwischen dem Overall und dem Brustverschluss zerrieben.
Er ächzte. Wie eklig!
Davon war nie die Rede gewesen in den Filmen und Büchern, in denen Raumfahrer im All verloren gingen. Da hatte es sich immer nur um die Frage gedreht, wann ihnen der Sauerstoff ausging, allenfalls hatte die Gefahr bestanden, dass sie erfroren. Aber nie war es darum gegangen, dass sie in die Hose pinkeln mussten, dass ihnen ein Riegel Konzentratnahrung in den Hals rutschte oder sie, verdammt noch mal, das überwältigende Bedürfnis hatten, sich zu kratzen!
Wenigstens kam er inzwischen mit der Schwerkraft zurecht. Carl und Elinn hatten damit immer noch Probleme, auch wenn es trotz des Muskelkaters, der sie alle plagte, heute besser zu gehen schien als gestern. Sie mussten oft stehen bleiben und verschnaufen, standen dann zitternd da und die Schritte, die sie machten, waren kaum der Rede wert; mehr ein zögerliches Schlurfen als wirkliches Gehen. Heute irritierte sie außerdem der vom Regen hier und da noch weiche Boden; derlei waren sie vom Mars nicht gewohnt. Und besonders Elinn brauchte häufig eine richtige Pause, auch wenn sie zu stolz war, um danach zu verlangen: Das tat ihr Bruder an ihrer
Weitere Kostenlose Bücher