DIE STERBENDE ERDE
Bedauernswerten zu, wie er versuchte, eine soeben erst gefangene Frau auf die Knie zu zwingen. Sein graues Menschengesicht war wutgezeichnet, als er an ihrem Mieder riß. Mit erstaunlicher Kraft hielt sie sich den großen, schwitzenden Dämonenbären vom Leib. Mazirians Augen verengten sich. Zauber, dachte er. Zauber!
Er beobachtete sie und überlegte, wie er Thrang vernichten könnte, ohne die Frau in Gefahr zu bringen. Da entdeckte sie ihn über die Schulter des Ungeheuers hinweg.
»Schau!« keuchte sie. »Mazirian ist gekommen, dich umzubringen.«
Thrang drehte sich um. Er sah den Magier, ließ sich auf alle viere nieder und stürmte wild brüllend auf ihn zu. Mazirian fragte sich später, ob der Ghul vielleicht einen Zauber benutzt hatte, denn eine Lähmung begann sich seiner zu bemächtigen.
Möglicherweise übten jedoch auch nur der Anblick des tobenden grauweißen Gesichts Thrangs und die weit ausgestreckten Prankenarme diese Wirkung auf ihn aus.
Mazirian schüttelte den Zauber, wenn es überhaupt einer gewesen war, von sich ab und stieß einen mächtigen Spruch aus. Zischende Feuerpfeile erhellten das ganze Tal. Von allen Richtungen schossen sie in Thrangs Leib. Das war die Exzellente Prismatische Berieselung – vielfarbige, erstarrte Strahlen. Purpurfarbenes Blut floß aus unzähligen Stichwunden, die die Berieselung ihm geschlagen hatte, und der Dämonenbär röchelte sein Leben aus.
Der Magier erreichte den See – eine gewaltige Wasserfläche, deren gegenüberliegender Rand kaum zu erkennen war.
Marzirian trat an den sandigen Strand und blickte über das dunkle Sanragewässer, den See der Träume. Tiefdunkle Nacht mit gerade noch einer Spur des Nachglühens der untergegangenen Sonne hatte sich über die Erde gesenkt. Ein paar Sterne spiegelten sich glitzernd auf der glatten Wasserfläche. Ruhig und still lag sie, gezeitenlos wie alle Gewässer der Erde, seit der Mond vom Himmel verschwunden war.
Wo war die Frau? Dort, drüben am Fluß, hob eine bleiche Gestalt sich von den düsteren Schatten ab. Mazirian stellte sich ans Ufer, hochaufgerichtet, respekteinflößend, wie er glaubte.
Eine schwache Brise spielte um die Beine mit seinem Umhang.
»He, Mädchen!« rief er. »Ich bin es, Mazirian, der dich vor Thrang gerettet hat. Komm näher, damit ich mit dir sprechen kann.«
»Ich höre dich auch über diese Entfernung gut genug, Magier«, erwiderte sie. »Je näher ich käme, desto weiter müßte ich von dir weglaufen.«
»Weshalb überhaupt die Flucht vor mir? Komm mit mir, und ich mache dich zur Herrin über viele Geheimnisse und schenke dir große Macht.«
Sie lachte. »Wenn ich das gewollt hätte, Mazirian, wäre ich dann so weit geflohen?«
»Wer bist du, daß die Wunder der Magie dich unbeeindruckt lassen?«
»Für dich, o Mazirian, bleibe ich namenlos, damit du nicht in Versuchung kommst, mich zu verfluchen. Jetzt begebe ich mich an einen Ort, zu dem du mir nicht folgen kannst.« Sie rannte hinab zum Strand des Sees und watete langsam hinein, bis das Wasser sanft ihre Taille umschmeichelte. Dann war sie vor seinen Augen verschwunden.
Mazirian blieb unentschlossen stehen. Er durfte nicht zu viele Zauber anwenden und sich so aller Macht für noch bevorstehende Eventualitäten berauben. Was sich wohl unter dem See befand? Er spürte die stille Magie, die an diesem Ort herrschte, und obgleich keine Feindschaft zwischen ihm und dem Herrn des Sees war, mochten doch andere Wesen etwas dagegen haben, falls er sich hineinwagte. Als das Mädchen jedoch nicht mehr aus dem Wasser auftauchte, sagte er bedächtig den Spruch der Unversieglichen Stärkung und stapfte in das kalte Gewässer.
Tief sank er bis zum Grund des Sees der Träume – der Zauber schützte seine Lunge, das Atmen bereitete ihm keine Schwierigkeiten – und sah sich staunend um. Nicht dunkel war es, wie er erwartet hatte. Ein grünliches Schimmern erfüllte den ganzen See, und das Wasser schien kaum weniger klar als die Luft. Pflanzen wiegten sich in der fast unmerklichen Strömung, pastellfarbene Blumen in Blau-, Rot- und Gelbtönen nickten wie grüßend großäugigen Fischen verschiedenster Größen und Formen zu.
Der Boden fiel in felsigen Stufen zu einer weiten Ebene ab, auf der sich Bäume mit schlanken Stämmen, feingeästeltem Laubwerk und purpurnen Wasserfrüchten bis zum Unterwasserhorizont erstreckten.
Mazirian sah die Frau. Sie schien ihm nun eine weiße Nymphe, umspült von ihrem langen schwarzen Haar. Halb lief,
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