DIE STERBENDE ERDE
Verstand und seine Überlegung bewahrt. Er konnte ihr auf ihre Fragen Antwort geben.
»Du mußt mich auf einen Weg weisen, der mir gestattet, die Hexe zu vernichten.«
»Aber woher soll ich wissen, was das für ein Weg ist?«
»Du fragst mich, und ich sage es dir.«
»Wäre es da nicht besser, ich befehle dir gleich, so zu handeln, wie du es für richtig hältst?«
»Ja.«
»Dann tue es. Handle unter allen Umständen so, wie Etarr es tun würde.«
So wurde im Dunkel der Nacht der Zauber der Hexe Javanne umgangen und zunichte gemacht. Etarr gewann seinen freien Willen wieder und benahm sich, wie er es ohne den Zauberspruch auch getan hätte. Er trat vor die reglose Javanne.
»Nun, fürchtest du mich jetzt, Hexe?«
»Ja«, erwiderte Javanne, der es durch ihren eigenen Zauber unmöglich gemacht war, zu lügen. »Ich fürchte dich sehr.«
»Stimmt es wirklich, daß mein Gesicht, das du mir nahmst, nur noch schwarzer Staub ist?«
»Dein Gesicht ist Teil eines zu schwarzen Staub zerfallenen Dämons.«
Die blauen Augen blickten sie durchdringend durch die Schlitze in der Kapuze an.
»Wie kann ich es zurückgewinnen?«
»Dazu bedarf es eines mächtigen Zaubers – eines Griffs in die Vergangenheit, denn dein Gesicht gehört der Vergangenheit an. Eine Magie ist nötig, die stärker ist als meine, stärker als die aller Zauberer der Erde und der Dämonenwelt. Ich weiß nur von zwei, die mächtig genug sind, eine Form der Vergangenheit herzustellen. Der erste ist Pandelume, er lebt in einem vielfarbigen Land…«
»Embelyon«, flüsterte T'sais.
»… aber die Formel, dieses Land zu erreichen, ist verlorengegangen. Der zweite ist kein Zauberer, er versteht nichts von Magie. Wenn du dein Gesicht wiederhaben willst, mußt du es von einem dieser beiden erbitten«, endete Javanne, da hiermit Etarrs Frage beantwortet war.
»Wer ist dieser zweite?« erkundigte er sich.
»Ich kenne seinen Namen nicht. Es ist lange, lange her, länger als wir uns erinnern können – so berichtet die Legende –
, da lebte eine Rasse Gerechter im Reich östlich des Maurenrongebirges, jenseits des Landes der Fallenden Wand, an der Küste eines großen Ozeans. Sie erbauten eine Stadt aus spitzen Türmen und niedrigen Glaskuppeln, wo sie zufrieden bis ans Ende ihrer Tage lebten. Diese Menschen hatten keine Götter, doch eines Tages erwachte in ihnen der Wunsch, jemanden zu verehren und anzubeten. Deshalb errichteten sie einen prunkvollen Tempel aus Gold, Glas und Granit, so breit wie der Scaum, wo er durch das Tal der Dunklen Grüfte fließt, und auch so lang, und höher noch als die Bäume des Nordens.
Diese Rasse ehrlicher und gerechter Menschen versammelte sich in diesem Tempel, und gemeinsam sprachen sie ein inbrünstiges Gebet und hielten eine ehrfurchtsvolle Andacht.
Auf diese Weise – so erzählt die Legende – erschufen sie einen Gott, der alle ihre guten Eigenschaften in sich vereinigte – eine Gottheit von unbestechlicher Gerechtigkeit.
Die Zeit verrann, die Stadt zerfiel, der Tempel stürzte ein, die Menschen waren nicht mehr. Aber der Gott blieb – für immner an jenen Ort gebunden, wo sein Volk ihn verehrt hatte Und dieser Gott verfügt über Mächte, die stärker als jeder Zauber sind. Jedem, der zu ihm kommt, widerfährt Gerechtigkeit. Doch mögen die Bösen und Verderbten sich hüten, ihn aufzusuchen, denn er kennt kein Erbarmen. Darum wagen es auch nur ganz wenige, sich diesem Gott zu nähern.«
»Zu ihm werden wir uns begeben!« erklärte Etarr mit grimmiger Genugtuung. »Wir alle drei. Und uns allen wird die Gerechtigkeit zuteil werden, die wir verdienen.«
Ober das Moor kehrten sie zu Etarrs Hütte zurück. Dort studierte Etarr alle seine Bücher, um herauszufinden, wie man zu dieser uralten, zerfallenen Stadt der Gerechten zu kommen vermöchte. Aber vergebens. Er wandte sich an Javanne.
»Kennst du einen Zauber, der uns zu diesem Gott bringen kann?«
»Ja.«
»Und was ist dieser Zauber?«
»Ich rufe drei Geflügelte aus den Eisenbergen. Sie werden uns zu ihm tragen.«
Etarr mustert Javannes weißes Gesicht scharf.
»Was verlangen sie dafür?«
»Sie töten jene, die sie tragen.«
»Ah, Hexe!« rief Etarr. »Selbst mit betäubtem Willen und zu ehrlichen Antworten gezwungen, versuchst du uns zu schaden.« Er beugte sich zu der von Grund auf schlechten und doch so schönen Rothaarigen hinab. »Wie kommen wir, ohne daß uns Leid zustößt und auf schnellstem Weg zu dem Gott?«
»Du mußt den
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