Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
Soldaten ihn aufspüren.
Es dauerte lang, bis Mary in einen unruhigen Schlaf fiel, der von lebhaften Träumen begleitet wurde. Sie hatte später keine Ahnung, wie lange sie geschlafen hatte, es kam ihr nur wie ein Augenblick vor. Sie wurde von Stimmen aufgeschreckt, die in den Gassen klangen, begleitet von anderen tumultähnlichen Geräuschen.
Mary brauchte kaum einen Moment, um mit einem Sprung ihr Bett zu verlassen. Sie lief über den eiskalten Fußboden, kauerte am Fenster nieder und versuchte, ein Loch in die gefrorene Scheibe zu kratzen. Ungeduldig riß sie das Fenster schließlich auf. Beißend kalte Luft strömte ins Zimmer, eine Wolke pulvriger Schnee rutschte auf den Boden. Mary lehnte sich hinaus, die Tränen schossen ihr in die Augen, so scharf war die Kälte. Sie erblickte Menschen unten auf der Straße, das gleiche Bild wie bei Nans Verhaftung vor zwei Tagen, dann schaute sie hoch über die Dächer, und sie war noch so im Schlaf gefangen, daß sie, den leuchtend roten Schein am östlichen Himmel betrachtend, dachte: Oh, es ist schon Morgen?
Aber gleich darauf durchzuckte sie ein heißer Schreck, entsetzt hielt sie den Atem an. So glühend und schimmernd ging kein Morgen auf, so hell hatte der Himmel nie geleuchtet. Das war keine Sonne, was sie sah, das war der Schein eines Feuers, eines gewaltigen Brandes östlich vom Dorf, der sich im Nachthimmel spiegelte.
»Aber es kann nicht Marmalon sein«, sagte sie tonlos und wußte dabei, daß es nur Marmalon sein konnte. Es gab dort sonst kein Gehöft, und was sollte so heftig brennen, wenn nicht ein Haus? Nun endlich vernahm sie auch die Stimmen der Menschen unten auf der Gasse, und es gelang ihr, einzelne Worte auszumachen.
»Sie brennen Marmalon nieder!« rief eine Frau. »Der ganze Hof soll schon in Flammen stehen!«
»Ich habe immer gesagt, daß dort etwas nicht in Ordnung ist!«
»Haben sie Belville verhaftet?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht hängt er schon am nächsten Baum.«
Die Stimmen tobten weiter, wurden undeutlicher. Oben schloß Mary mit zitternden Fingern das Fenster. Ihr war übel, sie fror, und gleichzeitig breitete sich ein heißes, schmerzhaftes Brennen in ihrem Körper aus. In ihren Schläfen hämmerte es, und ihr Atem ging auf einmal schwer und unregelmäßig. Immer wieder murmelte sie: »Und wenn! Sollen sie Marmalon niederbrennen, Frederic ist nicht dort!«
Aber sie konnte sich damit nicht beruhigen. Sie tastete nach ihren Sachen, schlüpfte in Wäsche, Kleider und Schuhe, strich sich die wilden, fliegenden Locken aus dem Gesicht. So schnell sie konnte lief sie aus dem Zimmer und hastete die Treppe hinunter.
Unten traf sie auf Edward, der sich, vom Schlaf und vom Bier verwirrt, etwas hilflos umsah. »Was ist denn los?« fragte er. »Was soll der Krach?«
Mary antwortete nicht, sondern stieß ihn einfach zur Seite. Ehe er sie zurückhalten konnte, war sie schon zur Tür hinaus und trat auf die Straße. Heute beachtete sie niemand, es schien, als seien alle Leute zu aufgeregt, um überhaupt jemanden richtig wahrzunehmen. Mühsam bahnte sie sich ihren Weg durch das Gedränge, zwischen schreienden, gestikulierenden Männern und Frauen hindurch, an quengelnden Kindern und kläffenden Hunden vorbei. Ihr Rock schleifte in Schnee und Straßenschmutz, beim Atmen tat ihr vor Kälte der ganze Mund weh. Aber sie kümmerte sich nicht darum, sondern lief rücksichtslos weiter, ganz gleich, wer ihr in den Weg trat und wen sie beiseite stoßen mußte. Ohne weiter darüber nachzudenken, lief sie den Weg, der sie aus Shadow’s Eyes hinaus und auf Marmalon zuführte. Sie achtete nicht auf ihr Seitenstechen, nicht auf ihren rasselnden Atem und ihre schmerzenden Lungen. Sie dachte auch nicht darüber nach, daß es für sie gefährlich werden konnte, jetzt dorthin zu gehen, wo das Feuer herkam. Sie stolperte nur vorwärts, getrieben von einer Angst, die sie jede Vorsicht vergessen
ließ. Sie hielt erst inne, als eine Hand nach ihrem Arm griff und sie zurückzog.
»Lassen Sie mich doch los!« rief sie, aber dann erkannte sie Pater Joshua, der sie aus einem schneeweißen, vom Grauen verzerrten Gesicht ansah.
»Mary, wo willst du hin? Die Soldaten des Königs sind in Marmalon, und sie haben den ganzen Hof in Brand gesetzt! Du darfst unter keinen Umständen dorthin laufen!«
»Oh, aber ich muß da hin! Vor zwei Tagen war er nicht mehr in Marmalon, und ich will mich vergewissern, daß er...«
Der Priester sah sie an. »Vor zwei Tagen? Hast du ihn
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