Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
und Anne enttäuscht worden zu sein, sie so tief traf, daß es sie im Hals zu würgen begann. Sie bemühte sich um eine feste Stimme, als sie unten auf der Straße im schneidend kalten Wind Anne die Hand reichte und sagte:
»Leben Sie wohl, Miss Brisbane. Und sagen Sie Lady Cathleen meine besten Grüße.«
»Danke, Mrs. de Maurois. Leben auch Sie wohl.« Sie nickten einander kühl zu, dann ging Anne mit raschen Schritten davon. Mary blickte ihr nach; fröstelnd zog sie ihren Mantel fester um die Schultern. Ich sehe sie nie wieder, dachte sie, ach, Mutter hatte recht, zwischen ihnen und uns ist keine Freundschaft möglich. Wir sind gar nichts für sie, unsere einzige Möglichkeit ist, schneller als sie zu sein und gescheiter, und zu schrecklich viel Geld zu kommen. Dann verachten sie uns zwar immer noch, aber sie suchen vielleicht unsere Gunst!
Mit einer Geste, in der eine Zärtlichkeit mitschwang, die sie bislang für das Kind nicht empfunden hatte, legte sie die Hand auf ihren Bauch.
»Ich würde dir so gern alles Geld der Welt schenken«, murmelte sie, »wer du auch bist und sein wirst, Jahre meines Lebens gäbe ich dafür, dich reicher und mächtiger zu sehen, als den gottverdammten
Adel dieses Landes. Aber«, mit einem zweifelnden Blick sah sie hoch zu den Fenstern von Bartholomew Bloom, »so werde ich nicht reich. Nicht reich genug!«
Mit gesenktem Kopf eilte sie weiter. An der nächsten Straßenecke traf sie auf eine Gruppe von Menschen, die trotz der späten Stunde noch unterwegs waren und sich aufgeregt unterhielten. Mary schnappte nur vereinzelt Wortfetzen auf. Offenbar ging es um König und Königin. Sie winkte einen kleinen Straßenjungen herbei, denn Straßenjungen wußten nach ihrer Erfahrung immer am besten über alles Bescheid, und reichte ihm ein Kupfergeldstück.
»Was ist geschehen?« fragte sie. »Etwas mit der Königin?«
Der Kleine nickte wichtigtuerisch.
»Der König ist bei dem Turnier gestürzt. Sie haben ihn bewußtlos vom Platz getragen.«
»Oh ... ist er...?«
»Nein, Madam, nichts Ernstes. Aber die Königin...«
»Rede doch schon! Was ist mit ihr?«
»Sie bekommt ihr Kind«, sagte der Junge verlegen grinsend, »ja, man erzählt, sie liegt seit dem frühen Abend in den Wehen. Als man ihr die Nachricht gebracht hat, daß der König gestürzt ist, da ist es losgegangen.«
Mary hielt den Atem an und sah sich um. Ihre Augen begegneten denen einer alten Frau, die sie listig und gescheit anfunkelte.
»Wirklich? Das Kind... aber...«
Die Alte nickte.
»Es stimmt. Man hört es aus Greenwich. Es ist viel zu früh. Das Kind kann nicht lebend geboren werden.«
»Eine Fehlgeburt ist genau das, was nicht hätte...«
»Sehr richtig, junge Frau. Die Königin verliert ihr Kind, aber in Wahrheit verliert sie mehr als das!« Die Alte schüttelte nachdenklich den Kopf. »Bei meiner Seele, Madam, sicherer bin ich nie gewesen: Dies ist das Ende von Anna Boleyn!«
Anna Boleyn brachte einen toten Sohn zur Welt, den Sohn, der sie hätte retten können, durch dessen Tod sie sich aller Hoffnungen beraubt sah. Kalt, als habe sie ihn mit voller Absicht gekränkt, wandte
sich der König von ihr ab. Er fühlte sich enttäuscht und verbittert, denn Chapuys machte weiterhin Ärger, die Landedelleute meldeten Unruhen aus den Provinzen, bettelnde Mönche zogen durch das Land und hetzten gegen die lutherischen Boleyns in London, die schuld seien an der Zerschlagung der Kirche. Sogar die ewig konkurrierenden Thronberater Norfolk und Cromwell zeigten Einigkeit in ihrer Furcht vor drastischen Maßnahmen der Habsburger. Henry fühlte sich in die Ecke gedrängt. Er bot dem französischen König Hilfe gegen den Kaiser an, woraufhin Chapuys vor Zorn tobte. Er wußte, alles hing mit der Person Anna Boleyns zusammen. Kam jetzt ein Bündnis zwischen England und Frankreich zustande, dann bedeutete das große Gefahr für den Kaiser, und es war Annas Schuld. Ihretwegen besaß Spanien und damit Habsburg keinen Einfluß mehr in London. Mehr denn je verstärkte er seine Bemühungen, die Königin zu stürzen.
Aber Henry, erschöpft und noch nicht erholt von der Syphilis, die er sich im Dezember zugezogen hatte, zeigte sich halsstarrig. Chapuys verlangte, Henry solle sich mit dem Kaiser gegen Frankreich verbünden statt umgekehrt, er solle Prinzessin Marys Lage verbessern, und er solle die gegen die Kirche gerichtete Gesetzgebung abschaffen. Alles, was Henry darauf erwiderte, war, er verlange vom Kaiser eine
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