Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
überhaupt noch länger nachzudenken!«
»Ich finde sie nicht lächerlich. Überlegen Sie doch einmal, Miss Brisbane: Lady Cathleen hat Lord Cavendor umgebracht...«
Cathleen wurde weiß, aber Mary fuhr fort:
»...und wir haben ihr geholfen, die Tat zu vertuschen. Wir sind alle drei Täter. Das Ungerechte ist, daß Sie beide davon profitiert haben, ich aber leer ausgegangen bin. Sie haben gemeinsam Lord Cavendors Erbe angetreten, und ich soll nicht daran teilhaben. Wissen Sie, was zweihundert Pfund in Gold sind, verglichen mit dem, was er Ihnen hinterlassen hat? Eine Lächerlichkeit, Miss Brisbane! «
»Ich habe auch nichts geerbt«, sagte Anne, »alleinige Erbin des Vermögens ist Lady Cathleen.«
»Sie haben es aber sehr wohl verstanden, sich ebenfalls in den Genuß all dieser Besitztümer zu bringen.«
»Was erlauben...«
»Bitte«, unterbrach Cathleen, »nicht streiten.« Sie sah bekümmert aus. Mary betrachtete sie mitleidig. Mit der Bluttat von damals war Cathleen bis heute nicht fertig geworden. Seither war sie wie ein Schatten, wie allzu williges Wachs in Anne Brisbanes energischen
Händen. Wann immer von jener Nacht gesprochen wurde, atmete sie schwer und wünschte nichts sehnlicher, als von etwas anderem zu reden.
»Anne, warum tun wir nicht, was sie will? Sie hat nicht so unrecht. Ich meine auch, daß...«
»Ich hatte gesagt, ich führe die Verhandlung«, fauchte Anne. Ihre Wangen hatten sich gerötet, die Falten auf ihrer Stirn vertieften sich. Sie war außer sich vor Wut. Mary hatte nie einen Menschen erlebt, der sie feindseliger anblickte als Anne das jetzt tat.
»Nach meiner Überzeugung spielt Mary nur«, sagte sie fest, »ich glaube, sie würde uns gar nicht verraten. Ihr eigenes Risiko dabei ist zu hoch.«
»Nicht so hoch wie Ihres. Um die Tatsache, daß ich damals ein Kind und eine Untergebene Myladys war, kommt kein Richter herum. Außerdem: Wollen Sie es wirklich darauf ankommen lassen, wer von uns beiden die besseren Nerven hat?«
»Was Sie vorhaben, ist Erpressung. Glauben Sie, das würde ein Gericht erfreuen?«
»Erpressung! Mylady ist eine Mörderin! Und Sie sind der Beihilfe schuldig, Miss Brisbane.«
»Ich habe es immer gewußt«, stieß Anne hervor, »von Anfang an habe ich gewußt, daß Sie eines Tages unser Unglück sein würden. Ich hätte viel früher begreifen müssen, wer Sie sind und was Sie sind! Als Sie zu uns kamen, da hat es schon in Ihren Augen gestanden. Das kleine, bleiche Mädchen, bei dessen Anblick es mir das Herz umdrehte, war ein einziges Bündel aus Ehrgeiz und dem Wunsch, sich aus seiner Herkunft zu befreien. Von jenem Tag an bis heute sind Sie ohne nach rechts und links zu schauen nur auf dieses Ziel zugeschritten, Sie haben alles ausgelassen, was für andere Mädchen die Jugendzeit ausmacht, nie waren Sie verspielt und unbekümmert, Sie haben gekämpft und gestritten und nur auf die Stunde gewartet, in der Sie Ihren Lohn ernten würden. Und jetzt meinen Sie, ist sie gekommen. Aber nur über meine Leiche, das schwöre ich!«
Cathleen schluchzte auf.
Mary hatte unbewegt zugehört.
»Meine Stunde ist tatsächlich gekommen, Miss Brisbane«, entgegnete sie, »und Sie sollten nicht so großzügig auf Ihr Leben schwören. Cavendor und Sie schulden mir etwas, und das werde ich bekommen. Was Sie so erbost, Anne Brisbane, ist nicht so sehr das Landgut, das ich fordere, sondern die Tatsache, daß eine Frau der Unterschicht, eine jener ausgebeuteten Kreaturen, auf deren Kosten ihr euer glanzvolles Leben führt, daß sie es wagt, in eure Sphären vorzudringen. Sie empfinden einen abgrundtiefen Ekel vor der Armut. Sie sind eine kluge und gebildete Frau, aber mit Ihrem Abscheu werden Sie nicht fertig. Als ich noch ein Kind war, gelang es Ihnen besser. Mit einem Kind hat man noch Mitleid, Sie hätten daran denken sollen, daß ich erwachsen werde. Und daß ich vielleicht stärker sein würde als Sie.«
Mary hielt inne und erhob sich.
»Ich verlange, daß Sie meine Forderungen erfüllen«, sagte sie kalt, »oder ich gehe noch heute zum Richter. Ich habe nichts zu verlieren. «
Cathleen weinte hilflos. Dies alles ging weit über ihre Kräfte. In einer Zeit, die hundert Jahre weit zurückzuliegen schien, hatte sie in einer fürchterlichen, alptraumhaften Nacht etwas getan, das sie bis heute nicht recht begriff und das sie nur deshalb hatte überstehen können, weil Anne bereitstand, sie in ihren Armen schützend aufzunehmen und seither nicht mehr loszulassen. Die
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