Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
Tatsache, daß Mary plötzlich so unerwartet brutal alte Wunden aufriß und damit selbst Anne Brisbane aus ihrer gewohnten Ruhe aufscheuchte und all ihrer Selbstsicherheit beraubte, ließ Cathleen in Tränen ausbrechen. Mary sollte bekommen, was sie wollte, und dann sollte Anne dafür sorgen, daß sie endlich verschwand, damit nie wieder ihre harte Stimme längst vergangene Dämonen heraufbeschwören und sich die alte sanfte, blaugraue Ruhe eines noch dämmrigen Vorfrühlingstages über das warme Zimmer breiten konnte.
»Bitte, Anne...« sagte sie flehend.
Annes Lippen waren weiß vor Zorn.
»Wir sollen ihren Erpressungen wirklich nachgeben?«
»Sie hat ein Recht darauf. Anne...«
»Ein Recht? Ich frage mich, welches Recht sie hat, unser ganzes
Leben durcheinanderzubringen! Sie ist nichts weiter als eine kleine, emporgekommene Schlampe, die...«
»Anne!«
Anne schwieg. Langsam und sichtlich mühevoll gewann sie ihre Beherrschung zurück.
»Es sind Ihre Besitztümer, Cathleen! Sie haben darüber zu verfügen. Welches davon möchten Sie an Mary Askew, die Tochter von Ambrose und Lettice Askew verschleudern?«
»Ich dachte an Rosewood«, sagte Mary.
Anne fuhr herum.
»Rosewood in Essex? Es liegt gleich neben unserem Gut!«
»Ich weiß. Ich habe es vor vielen Jahren gesehen. Im übrigen haben Sie so viele Besitzungen, daß Sie leicht ausweichen können. «
»Vielleicht werden Sie ausweichen müssen. Denken Sie nicht, daß wir Ihnen das Leben schwermachen könnten?«
»Wir müssen uns ja nicht wie kleine Kinder benehmen. Wie ist Rosewood? Ist es ertragreich?«
»Für den Getreideanbau schon... Aber es ist recht heruntergekommen. Möglicherweise sollten Sie sich für ein anderes entscheiden. «
»Es könnte mir Spaß machen, etwas allein aufzubauen.«
»Sie könnten dabei auch auf die Nase fallen. Damals, nach... Cavendors Tod... waren Mylady und ich zunächst etwas mit der Arbeit überfordert, die die Verwaltung der Güter mit sich brachte, und wir mußten manches zurückstellen, um anderes in Ordnung bringen zu können. Rosewood haben wir etwas vernachlässigt. Der Verwalter, der sich darum kümmert, Charles Mackenzie, ist schlampig und faul, er ist das Geld nicht wert, das man ihm gibt. Aber Sie, Mary...« Anne schüttelte verachtungsvoll den Kopf, »Sie glauben also, Sie könnten etwas daraus machen? Ehrlich gesagt bezweifle ich das. Sie haben überhaupt keine Erfahrung. Was sagt eigentlich Mr. de Maurois zu der ganzen Sache?«
Mary, die beschlossen hatte, nichts von Nicolas’ Schicksal zu verraten, gab eine ausweichende Antwort.
»Wir leben jeder unser eigenes Leben«, sagte sie unbestimmt,
»was ist, Miss Brisbane, ich hätte jetzt gern eine Urkunde, in der mir die Übereignung von Rosewood bestätigt wird.«
Anne warf Cathleen einen Blick zu, und die nickte. Anne erhob sich, trat an einen Tisch in der Ecke und brachte ein Stück Papier und eine Feder.
»Ich werde die Urkunde aufsetzen und Lady Cathleen wird sie unterschreiben. Von Ihnen, Mrs. de Maurois, bekommen wir dann eine Erklärung, daß Sie auf weitere Erpressungsversuche verzichten und Ihre Mittäterschaft an... an dem Fall Lord Cavendor gestehen. «
»Erst wenn ich Rosewood gesehen habe«, erwiderte Mary gelassen, »ich will genau wissen, wie es jetzt aussieht. Und außerdem möchte ich noch fünfhundert Pfund in Gold. Ich brauche Geld, um das Gut aufzubauen.«
»Sie sind nicht mehr bei Verstand«, fuhr Anne auf, »wenn Sie glauben, daß...«
»Anne, bitte, machen wir der Sache ein Ende. Ich habe Kopfschmerzen. Tu, was sie will, ich unterschreibe alles.« Cathleen preßte die Hände gegen ihre Schläfen, in denen blaßblaue Adern schwach zuckten. Sie sah so bleich aus, als würde sie jeden Moment die Besinnung verlieren. Anne tauchte die Feder mit solch heftiger Wut in die Tinte, daß sie quer über den Teppich spritzte und häßliche Flecken machte.
»Bei Gott, Mary Askew«, murmelte sie, »ich schwöre es, ich habe keine Frau auf Erden je so gehaßt wie Sie. Beten Sie, daß Sie niemals auf mein Wohlwollen angewiesen sind!«
Mary hielt ihrem Blick stand. In ihren Augen standen Unnachgiebigkeit und unerschütterliche Sicherheit. Doch Cathleen, die den Kopf hob und ebenfalls zu Mary hinsah, entdeckte auch eine Traurigkeit in ihrem Blick, die sie verwirrte. Bei allem, was sie soeben erreichte, schien Mary nicht glücklich; sie wirkte wie ein Mensch, der aus einem Zwang heraus etwas tut, was er in Wahrheit gar nicht tun möchte. Ohne
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