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Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Titel: Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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brüllte sie. »Verschwindet! Macht, daß ihr wegkommt! Wagt es nicht noch einmal, euch hier blicken zu lassen, gottverdammte Bande, die ihr seid! An dem Tag, an dem ich nicht mehr zahlen kann, könnt ihr mich von hier fortbringen, aber nicht eine Stunde eher! Deshalb verlaßt auf der Stelle meinen Grund und Boden, oder ihr bereut es bitter! Weg jetzt!« Ihre Stimme überschlug sich beinahe. »Fort mit euch, und wenn ich im nächsten Moment noch einen von euch hier sehe, dem jage ich eigenhändig eine Kugel hinterher!«
    Ihr Zorn verfehlte nicht seine Wirkung. Ebenso wie Lettice einst Ambrose durch den bloßen Klang ihrer Stimme zur Unterwürfigkeit getrieben hatte, so wandten sich auch diese Männer eingeschüchtert ab. Claybourgh rutschte noch blitzschnell von seinem Pferd hinab, schnappte sich den Geldbeutel und kletterte so eilig wieder in den Sattel, daß er dabei eine höchst lächerliche Figur machte.
    »Diese Frau ist der Satan selber«, murmelte Greene im Davonreiten. Die Dunkelheit schluckte sie alle und nahm ihnen die Angst. Claybourgh, wütend wie nie in seinem Leben, stellte sich in den Steigbügeln auf und wandte sich noch einmal um. »Das wirst du büßen, Mary de Maurois!« schrie er. Die klare Nacht trug seine Worte weit und ließ sie wie von den Sternen widerhallen. »Und wenn es die letzte Tat meines Lebens ist, ich werde nicht ruhen, ehe ich dich am Ende weiß. Bei meiner Seele, noch ehe das Jahr vorübergeht, bist du im Schuldgefängnis von Newgate!«

     
    Wenige Tage vor Weihnachten begann es zu schneien, und das Land um Marmalon veränderte sein Gesicht. Eine dünne Schneeschicht lag über den Wiesen, Eis überzog die Bäume, bedeckte die Flüsse. Scharen von hungrigen Krähen strichen über die Felder, hoben sich mit enttäuschten Schreien in die Luft, stürzten unermüdlich suchend wieder zur Erde hinab. Aus den Wäldern erklangen Eulenrufe, die Hasen wagten sich allzu nah an menschliche Behausungen heran, weil ihr Hunger stärker war als ihre Scheu. Über den Himmel trieben graue Wolken, hingen tief über dem Land und gaben allem ein graues, düsteres Licht.
    Mary, die kaum noch schlief, wachte jeden Morgen bereits in aller Frühe auf, wenn draußen noch tiefschwarze Dunkelheit war und sie durch das schmale, hohe Fenster ihres Zimmer den Mond sehen konnte. Trotz der Kälte hielt sie es im Bett nicht aus, stand rasch auf, zog sich an und ging ihrer Arbeit nach – so, als wäre nichts geschehen. Während alle noch schliefen, stand sie bereits draußen und kehrte den Schnee vom Hof, fütterte die Hühner, ritt zu den Schafställen, um nach den Lämmern, die im Herbst geboren waren, zu sehen. Aber selbst wenn es ihr gelang, so zu tun, als sei alles wie immer, dann lag die Angst doch wie ein eiserner Ring um ihren Hals, der sich von Tag zu Tag enger zusammenschloß und ihr beinahe die Luft zum Atmen raubte. Mit überwachen Augen beobachtete sie alles, was um sie herum geschah: Die Katzen, die vor den Kaminen im Haus schliefen, Dilys und Allison, wenn sie kochten und putzten oder mit Jane spielten, die farblose Brenda, die ungerührt tat, was man ihr auftrug und keinen Gedanken an die Tragödie zu wenden schien, die sich über ihnen allen zusammenbraute. Mary betrachtete die Eiszapfen am Dach des Hauses, die tiefhängenden Zweige der Bäume, die blasse Färbung des schneeschweren Himmels, und heftig dachte sie: Ich kann es nicht hergeben! Ich kann es nicht, ich sterbe ja darüber! Zugleich wußte sie, daß man nicht so leicht starb, wie man manchmal dachte, und daß sie es überstehen würde, wie sie schon vieles andere überstanden hatte. »Ich muß es nur aushalten«, sagte sie sich hundertmal am Tag, »ich muß die Zähne zusammenbeißen und es ertragen. Ich kann es ertragen, ich habe immer alles ertragen!«

    Der Abend, an dem Claybourgh und seine Männer erschienen waren, war die letzte große Schlacht um Marmalon gewesen, das wußte Mary. Sie hatte sich erschöpft, ihr blieb nichts mehr zu tun. Sie konnte nur noch abwarten und zusehen, wie alles seinem Ende zutrieb.
    An einem Nachmittag stand sie am Fenster ihres Zimmers und grübelte. Was ihr am meisten zu schaffen machte, war die Sorge um Jane. Sie mußte für das Kind sorgen, daher mußte sie unbedingt eine Arbeit finden, die nicht allzu schlecht bezahlt wurde.
    »Am ehesten finde ich wohl noch etwas in London«, murmelte sie, »lieber Gott, am Ende lande ich wieder im Schneidersalon von Mrs. Harte!«
    Dieser Gedanke deprimierte sie so

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