Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
»diese
Frau haßt mich. Himmel, ihr Blick! Wenn ich abergläubisch wäre, ich betete auf der Stelle fünf Rosenkränze!«
Anne blieb vor ihm stehen, den Kopf hoch erhoben, die blutleeren Lippen zusammengepreßt. Sie würdigte Mary keines Blickes, obwohl diese sie höflich grüßte.
»Sir Hadleigh«, sagte sie mit ebenso klarer wie kalter Stimme, »ich muß mit Ihnen sprechen.«
»Aber gern, Miss Brisbane«, entgegnete Sir Hadleigh, »worum geht es denn?«
Anne sah zu Mary hin, die sofort sagte: »Oh... ich gehe dann wohl besser.«
Anne wollte schon zustimmen, doch dann schien ihr ein Gedanke zu kommen. »Nein, bleiben Sie. Wenn ich es mir richtig überlege, kann ich gerade Sie jetzt gut brauchen!« Ihre Stimme vibrierte vor Feindseligkeit.
Mary zog eine ihrer schöngebogenen Augenbrauen hoch. »Von Ihnen gebraucht zu werden, Miss Brisbane, ist ein von mir inzwischen ganz ungekanntes Glück geworden«, bemerkte sie spitz. Anne überhörte diese Anzüglichkeit.
»Hier können wir nicht sprechen. Wir sollten irgendwohin gehen, wo wir allein sind.«
»In die Bibliothek«, schlug Hadleigh vor, »vor einer Stunde wenigstens war da noch niemand. Das bedeutet, keiner kann uns belauschen. « Er lächelte leicht. Offenbar fand er Annes geheimnisvolles Getue sehr amüsant. Mary hingegen beschlich ein ungutes Gefühl. Sie ahnte, daß Hadleigh die hagere Anne Brisbane für eine giftige alte Jungfer hielt, deren Launen ihn manchmal ärgerten, aber nicht ernsthaft belästigten. Sie hingegen wußte, daß Anne keineswegs harmlos war und daß jeder ihre Launen ernst nehmen sollte, um ihnen begegnen zu können. Zudem erschütterte sie der verzerrte Ausdruck von Annes Gesicht. Sie sah nicht nur elend aus, sondern völlig zerstört. Mary hatte sie oft erlebt, wenn sie ungehalten war oder schlecht gelaunt oder wenn eifersüchtige Gefühle wegen Cathleen sie quälten, aber so wie heute hatte sie nie ausgesehen. Sie wirkte hohläugig und fanatisch und ganz so, als sei sie nicht bei Sinnen. Mary beschloß, auf der Hut zu sein. Sie trat hinter ihr in die Bibliothek,
die nach Norden lag und selbst an diesem Hochsommertag noch schattig und kühl war. Sir Hadleigh schloß die schwere Eichenholztür. »Nun?« fragte er. »Was gibt es?«
Anne lehnte sich gegen den Kamin. In der Düsternis dieses Raumes war sie nicht mehr so gespenstisch bleich wie vorher in der Sonne, aber ihre Augen glühten fiebrig.
»Sir Hadleigh«, sagte sie hastig. Ihr Atem ging flacher als gewöhnlich. »Ich bin seit vielen Jahren die innige und einzige Vertraute von Lady Cathleen. Ich glaube, es gibt keinen Menschen, der sie besser kennt als ich. Ich kam zu ihr, da war sie noch ein kleines Mädchen, nicht älter als fünf Jahre. Ich war damals schon... über das Alter hinaus, in dem eine Frau für gewöhnlich heiratet, und ein wenig verbittert, enttäuscht vom Leben. Ich hatte niemanden gefunden, der mich geheiratet hätte, und ich fand mich gerade damit ab, daß wohl auch nie jemand auftauchen würde. Wissen Sie, im Grunde wollte ich nie heiraten, und das spürten die Männer wohl, noch ehe sie es wagten, um meine Hand anzuhalten. Aber ich litt unter den mitleidigen Blicken meiner Freundinnen und dem Getuschel der alten Matronen hinter meinem Rücken.«
»Das ist bedauerlich«, sagte Hadleigh mit leiser Ungeduld in der Stimme. Die Lebensgeschichte von Anne Brisbane interessierte ihn nicht im mindesten, und heute hatte er ohnehin anderes im Kopf. Er bemühte sich, Anne höflich und nicht allzu gelangweilt anzusehen.
Anne hatte seinen unausgestoßenen, nervösen Seufzer gehört. Sie preßte die Lippen aufeinander, dann sagte sie: »Ich erzählte dies nur, damit Sie begreifen, Sir Hadleigh, wie sehr ich mit Lady Cathleen verbunden bin. Von dem Tag an, da ich nach Fernhill kam, wurde sie zum Mittelpunkt meines Lebens. Alle Liebe und Zärtlichkeit, die ich mir aufgespart hatte und die nie ein Mann erringen konnte, gab ich diesem Kind. Und so ist es bis heute geblieben.«
»Ich weiß, Sie haben immer gut für Lady Cathleen gesorgt«, meinte Hadleigh etwas unbehaglich, »und ich bin Ihnen auch sehr dankbar dafür.«
Anne sah zu Mary hin, aber deren Miene blieb kühl und konzentriert. Unwillkürlich blickte sie rasch wieder fort und wandte sich Hadleigh zu. »Sie sollen wissen, daß ich nie etwas Böses für Cathleen
wünsche«, sagte sie, »denn wenn ich Ihnen jetzt etwas sage, werden Sie vielleicht denken, ich wolle Cathleen damit schaden. Aber in Wahrheit will
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