Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
du uns allen etwas vormachst! « Aber Mary sah dann ganz unschuldig drein, und sie wirkte so unscheinbar, klein und harmlos, daß Lettice sich einen raffinierten Betrug bei ihr einfach nicht vorstellen konnte.
Da Mary wie ein grauer Schatten hinter Anne herlief, gewöhnten sie und Cathleen sich schon bald an ihre Gegenwart und beachteten sie kaum noch. Das bedeutete, daß sie so vertrauensvoll und offen über alles sprachen wie immer, und keine Rücksicht darauf nahmen, daß ein blasses, mageres Kind von zwölf Jahren in der Ecke saß, den Kopf eifrig über eine Stickerei oder ein Buch gebeugt. So wurde Mary auch vom ersten Augenblick an Zeugin des sich anbahnenden Dramas zwischen Lady Cathleen und ihrem zukünftigen Ehemann, Lord Robert Cavendor, der an einem Abend Anfang Juli offenbar von einer längeren Reise auf den Kontinent zurückgekehrt und sogleich nach Shadow’s Eyes geeilt war, um seine Braut wiederzusehen. Mary hatte nicht gewußt, daß Cathleen verlobt war, aber Bess erzählte ihr später, daß man sie dem Lord versprochen habe, als sie neun war und daß damals vereinbart worden sei, die Hochzeit solle acht Jahre später stattfinden.
»In diesem Jahr also«, sagte Bess, »Lady Cathleen ist jetzt siebzehn. Das wird verdammt viel Arbeit geben!«
Mary saß an diesem Abend in Lady Cathleens Ankleidezimmer und säumte seidene Taschentücher, als die Tür aufgerissen wurde und Cathleen hineinstürzte, in Tränen aufgelöst. Sie trug ein sehr
schönes Kleid aus grüner Seide und hatte Goldketten mit Smaragden ins Haar geflochten, aber ihre Augen waren vom Weinen verquollen und ihr Mund zitterte. Ihr auf dem Fuß folgte eine ebenfalls ungewöhnlich verstört wirkende Anne Brisbane, die ihre Herrin vergeblich zu beruhigen versuchte.
»Aber, Cathleen, so hören Sie doch auf zu weinen!« rief sie. »Ich kann das gar nicht mitansehen. Cathleen, Liebste...«
Cathleen ließ sich in einen Sessel fallen und weinte haltlos weiter. »Hast du ihn gesehen, Anne«, schluchzte sie, »so schrecklich hatte ich ihn ja gar nicht in Erinnerung! Er ist ein Ungeheuer, ein gräßliches, abscheuliches Monster, ein...«
»Psst, Cathleen, bitte. Er sieht wirklich nicht besonders gut aus, aber es ist doch auch wichtiger, daß...«
»Was? Daß er ein freundlicher Mensch ist? Anne, er ist von innen wie von außen. Vulgär und brutal.«
»Nun ja, er ist ein Mann«, meinte Anne. Sie beugte sich über Cathleen und strich ihr sanft über das Haar.
»Sie sollten sich hinlegen und schlafen. Morgen sieht vielleicht schon alles ganz anders aus. Und Sie hätten das Dinner nicht so unbeherrscht verlassen dürfen. Das war für Ihren Vater und Ihre Mutter sehr peinlich.«
»Meine Vermählung wird noch viel peinlicher für sie«, drohte Cathleen. »Anne, ich schwöre dir, wenn dieser Mann mir zu nahe kommt, bringe ich ihn um!« Ihr Blick fiel auf Mary, die diesmal so fasziniert zuhörte, daß sie ganz vergaß, ihre gespannte Aufmerksamkeit wie sonst zu verbergen.
»Mary, du hast es auch gehört«, sagte sie. »Ich töte ihn! Am Beginn dieser Ehe wird ein Mord stehen und dann können sie mich in Tyburn hängen, das ist mir ganz gleich!« Mit einer zornigen Bewegung zerrte sie die Goldketten aus ihrem Haar und warf sie so heftig zu Boden, daß die Smaragde aus ihren Fassungen sprangen und durch das Zimmer rollten.
»Sie verfügen über mich, Anne. Sie verfügen über mich, als sei ich eine beliebige Ware, die man verkauft, um einen schönen Gewinn zu erzielen. Weißt du, warum mein Vater das tut? Für nichts anderes als für sein eigenes Ansehen! Damit jeder weiß, daß er der Schwiegervater
von Lord Cavendor ist, einem der reichsten Männer Englands. Mein Schicksal ist ihm dabei ganz und gar gleichgültig!«
»Das glaube ich nicht. Er denkt, er würde Ihnen etwas Gutes tun.«
»Er denkt überhaupt nicht! O Anne, das schlimmste Schicksal ist es, als Frau zur Welt zu kommen! Da könnte ich gleich eine Kuh sein, die man zum Markt führt und versteigert!«
»Ihr Schicksal ist so alt wie die Menschheit selber, Cathleen. Es geschieht seit Hunderten von Jahren, daß Väter mit ihren Töchtern handeln, es geschieht jetzt und es wird immer geschehen. Aber es ist nicht eigentlich bedeutungsvoll. Denn da Sie ihn niemals lieben werden, brauchen Sie auch nie wirklich unter ihm zu leiden. Wen wir lieben, der kann uns die größten Schmerzen zufügen, nicht der, den wir hassen!«
»Ich verstehe nicht, was du meinst«, sagte Cathleen verzweifelt,
Weitere Kostenlose Bücher